Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.
Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.

Das neue EKD-Pfarrdienstgesetz steht vor der Tür.

 

Was kann man gegen kirchliche Unrechtsparagraphen jetzt noch tun?

Im Auftrag der Melsunger Initiative von Gisela Kittel

 

Die Melsunger Initiative und andere Gruppen haben in den vergangenen Jahren immer wieder auf den mangelnden Rechtsschutz von Pfarrern und Pfarrerinnen hingewiesen und insbesondere die "Abberufung wg. ungedeihlichen Wirkens"[1] und die Einrichtung des Wartestandes in Frage gestellt. Trotzdem haben die Kirchenkonferenz und die Synode der EKD im November 2010 ohne jede Gegenstimme ein neues Pfarr-dienstgesetz beschlossen, das es möglich macht, Pfarrer und Pfarrerin-nen auch ohne den Nachweis einer schuldhaften Verfehlung einem Ver-fahren auszuliefern, in dem sie aus ihren Ämtern und Gemeinden ent-fernt und - bei Fehlen von Versetzungsmöglichkeiten in vorhandene andere Stellen - in den Wartestand und nachfolgenden vorgezogenen Ruhestand "befördert" werden.[2] Die Betroffenen müssen also mit einer sehr hohen Disziplinarstrafe[3] rechnen auch dann, wenn - wie § 80 Absatz 1 des neuen Gesetzes ausdrücklich festhält - die "Gründe für die nachhaltige Störung ... nicht im Verhalten oder in der Person der Pfar-rerin oder des Pfarrers liegen".

 

Dieses Gesetz mit seinen den Pfarrerstand rechtlos machenden Paragra-phen[4] steht nun zur Einführung in den einzelnen Landeskirchen und gliedkirchlichen Zusammenschlüssen der EKD an. Zwar wurde im Verlauf des bisherigen Gesetzesverfahrens häufig und hörbar über einzelne Pa-ragraphen wie "Ehe und Familie" im Pfarrberuf (§ 39) und die Option eines regelmäßigen Stellenwechsels (§ 81) gestritten, doch die Regelun-gen, die die Versetzungs- bzw. Abberufungsmöglichkeiten von Gemein-depfarrern und Gemeindepfarrerinnen noch einmal vereinfachen, die damit diese Personen noch schutzloser machen, standen und stehen merkwürdiger Weise nicht zur Debatte. Auch Landeskirchen, die bisher moderatere und gerechtere Regelungen für die Lösung gemeindlicher Konflikte hatten, scheinen gewillt, die neuen EKD-Vorschriften zu über-nehmen. Wohl gibt es Öffnungsklauseln, die den einzelnen Gliedkirchen erlauben, an bestimmten Stellen eigene Ausführungsbestimmungen zu erlassen, doch wurden auch sie im Zuge des Beratungsprozesses immer mehr eingeschränkt. So enthielt der Entwurf des EKD-Gesetzes noch im August 2009 im damaligen § 77 Absatz 6 eine Öffnungsklausel, die auch bei Versetzungen nach Absatz 2, Nr. 5 (Versetzung wg. einer "nachhal-tigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes") den Gliedkirchen er-laubte, "je für ihren Bereich von den Regelungen" der EKD abzuweichen. Doch genau dieser Hinweis auf Punkt 5 fehlt in dem entsprechenden Paragraphen 79 Absatz 5 des jetzt beschlossenen Gesetzes. Er fehlte - durch wen verursacht? - schon im August-Entwurf 2010.

Was ist zu tun?

 

Es gibt zwei Wege, die vielleicht noch beschritten werden können:

Zum einen könnte man prüfen, wo das Gesetz auch jetzt noch Raum für eigene Regelungen lässt. Solche Hinweise finden sich in den Begrün-dungstexten zu den Paragraphen § 79 (frühzeitliche "Fluchtmöglichkeit" aus der bisherigen Stelle), § 80 (Festlegung eines "obligatorischen Schlichtungsverfahrens"), § 80 (Durchführung der Prüfung, ob eine "nachhaltige Störung..." vorliegt), § 83 (Einführung von "Pufferzeiten", um die Möglichkeit zur Bewerbung auf andere Stellen zu verlängern).

Doch sind diese Öffnungen so gering, dass ein anderer Weg einzu-schlagen ist:

 

Die landeskirchlichen Synoden sollten dem neuen Pfarrdienstgesetz so lange ihre Zustimmung verweigern, bis zumindest die Öffnungsklausel von 2009 wieder eingefügt ist. Schließlich haben die Gliedkirchen der EKD im Frühjahr und Sommer des vergangenen Jahres der Textfassung von 2009 und eben nicht der veränderten Version zugestimmt, die dann im November von der EKD-Synode beschlossen wurde. Diese ältere Textfassung gibt den Gliedkirchen das Recht, auch im Blick auf § 79, Absatz 2, Satz 5 (Versetzungen bei Eintreten einer "nachhaltigen Stö-rung ... ") eigene Regelungen zu erlassen.

 

Im Folgenden werden Verfahrensschritte benannt, die unserer Meinung nach unbedingt notwendig sind, um Willkür und Unrecht in Versetzungs- bzw. Abberufungsverfahren zu verhindern oder um sie jedenfalls zu mi-nimieren. Sie sollten auch dann zum Zuge kommen, wenn sich eine Lan-deskirche darauf beschränken will, nur Ausführungsbestimmungen zu den Punkten zu erarbeiten, die in dem im November beschlossenen Pfarrdienstgesetz noch offen gehalten sind. Unsere Essentials lauten:

 

  1. Ehe ein Versetzungs- bzw. Abberufungsverfahren wegen einer "nachhaltigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes" in Gang gesetzt wird, muss eine längerfristige Supervision mit einem aus-gewiesenen Supervisor und nach den entsprechenden fachlichen Regeln erfolgen. Während dieser Zeit dürfen keine Beschlüsse gefasst oder entgegengenommen werden.[5]
  2. Einen Antrag auf die Eröffnung eines solchen Verfahrens kann nur der zuständige Kirchenvorstand mit einer qualifizierten Mehrheit (2/3 Mehrheit) stellen. Keine kirchliche Behörde, weder in der mittleren noch der oberen Leitungsebene, kann ein solches Ver-fahren von sich aus in Gang setzen. Umgekehrt ist aber auch die Kirchenleitung nicht verpflichtet, jedem Antrag eines Kirchenvor-stands auf Einleitung eines Versetzungsverfahrens stattzugeben.
  3. Wird ein Versetzungsverfahren nach § 79, Absatz 2, Punkt 5 in Gang gesetzt, ist dem betroffenen Pfarrer oder der Pfarrerin als Beistand ein anderer Pfarrer, Jurist oder Laie offiziell zuzuordnen, der den Betroffenen bzw. die Betroffene bei allen Anhörungen begleitet und das Recht auf Akteneinsicht hat. Es kann nicht sein, dass ein Pfarrer oder eine Pfarrerin, die unverschuldet in einen Gemeindekonflikt geraten, sich selbst einen Rechtsanwalt suchen und diesen aus privaten Mitteln bezahlen müssen. Außerdem brauchen sie dringend einen Seelsorger oder eine Seelsorgerin, wenn diejenigen, die eigentlich ihre Seelsorger sein müssten, selbst das Verfahren gegen sie führen.[6]
  4. Im Zuge des Verfahrens müssen Anhörungen stattfinden, in denen auch Anlass und Ursache des Konfliktes zur Sprache kommen. So-genannte "Erhebungen", die ein Kirchenrat anstellt und die nie-mand außerhalb der Kirchenleitung einsehen kann, ermutigen ge-radezu zu Falschaussagen und Verleumdungen. Angehört werden müssen die Konfliktparteien, also die betroffenen Pfarrer bzw. Pfarrerinnen oder Gemeindemitarbeiter und -mitarbeiterinnen, der Kirchenvorstand, der den Pfarrer oder die Pfarrerin abberufen lassen möchte, aber auch die Kirchenvorstandsminderheit, die ggfs eine andere Sicht der Dinge hat, sowie das Gremium der mitt-leren Kirchenleitung (Superintendentur), die von außen auf den Konflikt blicken kann, aber doch noch genug Nähe hat, um ihn besser einschätzen zu können. Auch die Gemeinde sollte in einer Gemeindeversammlung zu Wort kommen können.
  5. Die Entscheidung, ob ein Pfarrer oder eine Pfarrerin wegen einer "nachhaltigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes" ver-setzt bzw. abberufen werden muss, darf nicht die Kirchenleitung allein treffen, die sich u.U. längst mit den Beschuldigern solidari-siert hat. Auch die Vertretung der Pfarrerschaft muss einer sol-chen Entscheidung zustimmen, bevor sie in Geltung tritt. Deshalb muss auch sie bei allen vorangegangenen Anhörungen dabei ge-wesen sein.
  6. Wenn sich herausstellt, dass ein Kirchenvorstand in einem unter-suchten Konflikt "rechtsmissbräuchlich" gehandelt hat (§ 80 (1)), weil er die Zusammenarbeit mit dem betroffenen Pfarrer oder der Pfarrerin bewusst verweigerte und Konflikte schürte, um eine Pfarrperson, die ihm nicht genehm ist, loszuwerden oder um auf bequeme Weise Pfarrstellen einzusparen, muss der betreffende Kirchenvorstand zurücktreten. Es geht nicht an, dass die Lösung von Konflikten, an denen immer mehrere Seiten beteiligt sind, allein in der Entfernung von Pfarrern bzw. Pfarrerinnen gesucht wird. 
  7. Gibt es für einen Pfarrer bzw. eine Pfarrerin, die wegen einer "nachhaltigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes" ihre Gemeinde verlassen sollen, keine andere gleichwertige Stelle, in die sie versetzt werden können, muss ihnen auch im Fall der Beur-laubung oder Versetzung in den Wartestand ihr bisheriges volles Gehalt weiter gezahlt werden. Denn sie haben den Weggang aus ihrer bisherigen Stelle nicht zu verantworten. Die Veränderung ihres Dienstes ist, solange nach § 80 Absatz 1 Satz 3 (keine Schuld-klärung) entschieden wird, nicht auf ein Fehlverhalten oder Ver-sagen ihrerseits zurückzuführen.

 


[1] Im heutigen Gesetz ist von einer "nachhaltigen Störung in der Wahr-nehmung des Dienstes" die Rede, doch ist dies nur eine neue Umschrei-bung für den alten Sachverhalt.

[2] Zwar sprechen die §§ 79 und 80 nur von der "Versetzung" in eine an-dere Stelle, doch schon § 83 Absatz 2 macht klar, dass eine Versetzung in den Wartestand erfolgt, "wenn weder eine Stelle noch ein Auftrag im Sinn von § 25 Absatz 2 übertragen werden kann".

[3] Pfarrer im Wartestand erhalten, ganz gleich, aus welchem Grund sie in ihn versetzt wurden, nur ein vermindertes Wartegeld, "dessen Höhe in den Gliedkirchen zwischen 50% und 75 % der Besoldung variiert" (vgl. § 84 Absatz 3 und die dazu gehörende Begründung). Dann folgt nach drei Jahren der vorgezogene Ruhestand mit den entsprechenden Pensions-kürzungen (vgl. § 92 Absatz 2), sofern in der Zwischenzeit keine Bewer-bung auf eine andere Stelle Erfolg hatte, was bei dieser Ausgangssitua-tion nahezu unmöglich ist.

[4] Vgl. zur Problematik ausführlicher den Rundbrief "Auf Schleuder-sitzen" von G. Kittel an die lippischen Gemeindepfarrer und -pfarrerin-nen, im Internet zu finden unter  www.melsungerinitiative.de.

[5] Vgl. zu dieser Forderung den im Mai im Deutschen Pfarrerblatt er-scheinenden Beitrag von Traugott Schall, "Kuckucksei" im Pfarrerdienst-gesetz der EKD. Eine pastoralpsychologische Betrachtung einer konflik-tträchtigen Regelung.

[6] S.o. T. Schall, "Kuckucksei".

 

 

 

Druckversion | Sitemap
© Dr. Friedrich Reitzig, Pfr. i.R.