Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.
Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.

Bekenntnis und Ungedeihlichkeit

Beitrag für das Korrespondenzblatt

von Pfarrer Sieghart Schneider
Kirchstr. 8 85111 Adelschlag


Bekenntnis und Ungedeihlichkeit
Jemanden feindselig auszugrenzen (1) hat sich ein Mobber zum Ziel gesetzt. Abgeleitet vom englischen Hauptwort mob (Gesindel, Pöbel, Bande) und dem dazugehörigen Verb to mob(schikanieren, angreifen, anpöbeln, über jemanden herfallen) beschreibt Mobbing ein Verhalten, das der schwedische Psychologe Heinz Leymann in seinem Buch  Mob-bing: Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann (1993) zum ersten Mal ausführlich darstellte. Bei Mobbing tritt das zugrunde liegende Sachproblem meistens in den Hintergrund. Dafür wird die/der Mobbing-Betroffene über einen längeren Zeitraum atta-ckiert, angegiftet und angegriffen. Ihm/Ihr gilt das Hauptinteresse mit dem Ziel: Weg mit der Person, dann sind alle Probleme gelöst. An den Unzulänglichkeiten des Zusammenlebens ist dieser Andere schuld. Die „entweder Er oder Ich" Perspektive des Mobbers erschwert eine kon-struktive Lösung ungemein(2). Die zugrunde liegenden Gefühle, man-gelndes Selbstbewusstsein, Neid, Ärger, Verachtung oder kalter Hass führen dazu, dass kein Kompromiss gesucht wird (3).
Auch im kirchlichen Bereich gibt es Konflikte, z.B. zwischen Kirchen-vorstand und Pfarrer, die eine Seite durch Mobbing zu „lösen" versucht. Bewusst und gezielt arbeiten die Meinungsführer dieser Seite daraufhin, dass eine (angebliche) „nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes" (§ 77 Pfarrergesetz neu) konstatiert und der kirchengesetz-liche Tatbestand der „Ungedeihlichkeit" festgestellt werden kann.
Aus der eigenen Erfahrung als von solchem Mobbing Betroffener bin ich durch einen langen leidvollen Prozess zu der Überzeugung gekommen, dass weder die Verhaltensweisen, die schließlich zur Konstatierung einer angeblichen nachhaltigen Störung in der Wahrnehmung des Dienstes führen, noch die Möglichkeit der „Ungedeihlichkeit" als kirchenrecht-licher Tatbestand dem Evangelium und dem Bekenntnis unserer Evang.-Luth. Kirche entsprechen. Das 8. Gebot wird massiv missachtet. Nicht nur gewöhnlicher Tratsch, sondern Halb- und Unwahrheiten, Gerüchte und Verleumdungen werden verbreitet, zu denen die betroffene Person oft nicht Stellung nehmen kann, da dies hinter ihrem Rücken geschieht. Luthers Auslegung im kleinen Katechismus: „Dass wir unsern Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, after reden (= verleumden) oder bö-sen Leumund machen, sondern sollen ihn entschuldigen und Guts von ihm reden und alles zum Besten kehren" (4) wird gleichsam auf den Kopf gestellt. Alles wird zum Schlechten für den Mobbing-Betroffenen ge-kehrt. Die Summa im großen Katechismus, „dass niemand seinen Näch-sten, beide Freund und Feind, mit der Zungen schädlich sein noch Böses von ihm reden soll Gott gebe (= gleichviel ob) es sei wahr oder erlogen" (5) ist außer Kraft gesetzt.
Um einen Pfarrer/Pfarrerin loswerden zu können, kommt es nicht auf konkrete Fehler an - diese könnte die betroffene Personja korrigieren - sondern vor allem darauf, eine schlechte Stimmung zu erzeugen, für die dann der/die Pfarrer/Pfarrerin verantwortlich gemacht wird. Auch das 5. Gebot wird massiv missachtet. Kollegen, die in eine solche Situation kommen, nehmen vielfältig Schaden an Leib und Seele. Es entstehen Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Depressionen, Schlafstörungen, Alpträume, Appetitlosigkeit, innere Traurigkeit, Herz-rhythmusstörungen, Rücken- und Magenschmerzen, Darmbeschwerden und sogar Selbstmordgedanken können hervorgerufen werden.
Traumatisiert durch Psychoterror verliert der/die Betroffene jede Sicher-heit. Das, was bisher galt und richtig war, gilt auf einmal für sie/ihn nicht mehr. Auf die bohrende Frage: „Warum ich?" gibt es keine Antwort. Auch das familiäre Umfeld wird stark belastet. Martin Luther schreibt im klei-nen Katechismus zum 5. Gebot: „Dass wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und fördern in allen  Leibesnöten" (6). Bei der intendierten Versetzung wegen nachhal-tiger Störung in der Wahrnehmung des Dienstes wird bewusst und ge-zielt das Leben, der Ruf und die Ehre des Pfarrers/der Pfarrerin beschä-digt. Eine solche Regelung widerspricht dem Geist des  Evangeliums und dem Auftrag der Kirche.
Eine klassische evangelische Konfliktlösung findet sich in Matthäus 18, 15 ff: „Geh hin und besprich das, was dich stört intern mit deinem Glau-bensbruder unter vier Augen (Vers 15). Hast du damit keinen Erfolg, zieh ein oder zwei Personen hinzu und versuche zusammen mit ihnen den Streit zu klären (Vers 16). Gelingt auch dies nicht, beteilige die Gemeinde (Vers 17)".
In meinem Fall fand eine Mediation statt. Da bei einem Mobbingkonflikt kein Kompromiss gesucht wird und es nach Esser/Wolmerath zwischen dem Ziel des/der Mobber nach Ausgrenzung der Person und dem Wunsch des Mobbingbetroffenen nach einer tragfähigen Arbeitsbe-ziehung keinen Interessenausgleich gibt(7) ist dieses Instrument nicht besonders geeignet, einen solchen Konflikt zu lösen. Ich nannte 5 Pro-blempunkte. Sie wurden auf einem Wochenende, das der Mediator lei-tete und an dem ich nicht teilnehmen durfte, besprochen. Eine schriftli-che Zusammenfassung der Ergebnisse stellt fest: „Der Kirchenvorstand ist nicht bereit, diese Punkte als Diskussionsgrundlage zu akzeptieren... Nach Prüfung verschiedener Lösungsmöglichkeiten ist für den Kirchen-vorstand die einzige Option, Herrn DekanSchneider zu bitten, sich um einen Stellenwechsel zu bemühen."
Auf meine entsetzte Rückfrage bestätigte Pfarrer Weber vom Pfarrer-verein, dass ein Kirchenvorstand sich so verhalten, das Gespräch verwei-gern und einen Stellenwechsel fordern kann. Ich solle nichts tun, was zu einer weiteren Eskalation beitragen könnte.
Abgesehen von der notwendigen Kritik an dieser Form von Mediation - eine Mediation mit nur einer Seite, ohne den Betroffenen, verdient diesen Namen nicht - zeigt diese Praxis: Das kirchengesetzliche Kon-strukt der Ungedeihlichkeit fördert ein Verhalten, das dem Evangelium von Jesus Christus und dem Zeugnis der Schrift völlig widerspricht. Da der Grund für die nachhaltige Störung nicht in der Person des Pfarrers liegen muss, kann man die Kommunikation verweigern und als einzige Option Ausgrenzung betreiben. Die Gemeinde als Ganze wird nicht ein-bezogen, ebenso die anderen Arbeitsbereiche des Dienstes: Pfarrka-pitel, Dekanatsausschuss, Diakonie usw. Im Gegenteil: Die Kirchenleitung verhängt ein Schweige- und Kommunikationsverbot.
Jesus selbst hat nie ausgegrenzt. Er holt den Zöllner Zachäus in die Ge-meinschaft (Lukas 19) hinein. Er ermöglicht den 10 Aussätzigen ein Le-ben in Würde (Lukas 17). Er setzt sich mit seinem Verräter Judas beim Abendmahl an einen Tisch. In der Bergpredigt fordert er zur Feindes-liebe auf. Jesus legt einen Menschen nicht auf seine Fehler, Eigenheiten, Kuriositäten, Leistung oder Versagen fest, sondern nimmt ihn so an, wie er ist, und schenkt ihm Freiheit, Raum und Geist, mit sich selber und mit der Gemeinschaft neu anzufangen. Eine evangelische Gemeinde, die aus und von der Rechtfertigung des Sünders lebt, kann nicht anders als sich auch untereinander anzunehmen und in Liebe zu tragen und manchmal auch zu ertragen. Dazu gehört unabdingbar, einen geschwisterlichen Umgang miteinander zu pflegen und den anderen in Liebe auf Fehler hinzuweisen, ihm die Chance zu geben, Zerstörtes wieder aufzubauen, Versagen zu korrigieren, sich zu Vorwürfen, Gerüchten, Vermutungen äußern zu können.
Indem das Kirchengesetz die Frage, ob der Grund für eine nachhaltige Störung beim Pfarrer/bei der Pfarrerin liegt, offen lässt und sie als irre-levant für eine Entscheidung nach § 86 Pfarrergesetz erklärt, fördert es nichtevangeliumsgemäßes Verhalten, ja braucht dieses bekenntniswid-rige Verhalten als Voraussetzung, um eine nachhaltige Störung feststel-len zu können.
Grundlegende menschliche und christliche Tugenden wie Aufrichtigkeit, Fairness, Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, miteinander, Aufrichtigkeit, Zivil-courage opfern oft diejenigen, die ihren Pfarrer/ihre Pfarrerin loswerden wollen, ihrem destruktiven Ziel. Personen, die dem Mobbing-Betroffe-nen beistehen oder ihn unterstützen, werden ebenfalls beschimpft und ausgegrenzt. Die meisten Gemeindeglieder halten sich heraus. Ihre Grundhaltung reicht von: „Ich kann nichts Schlechtes über den Betroffe-nen sagen" „Mir sagt man ja nichts" bis zu „da wird/muss etwas dran sein". Leymann bezeichnet diese Menschen als die „Möglichmacher". Sie schauen zu, lassen das Geschehen einfach weiterlaufen oder schauen weg. Sie nehmen bewusst eine neutrale Position ein und ermöglichen erst dadurch - wenn auch unbewusst - Mobbing. Denn der Mobber ver-steht ihr Verhalten oft als Zustimmung und Bestätigung. Er hat das Ge-fühl, dass sie hinter ihm stehen. Der Mobbing-Betroffene dagegen fühlt sich zunehmend isoliert und gewinnt den Eindruck: „Alle sind gegen mich". Würden die „Möglichmacher" mutig, beherzt und couragiert in den Prozess eingreifen, dürfte das Mobbing in der Regel in die Leere laufen (8). Jesus sagt: „Eure Rede sei ja, ja; nein, nein" (Matthäus 5, 37). Eine neutrale Zwischenposition gibt es nicht. Wer schweigt, unterstützt den Mobber.
Das Predigtamt ist nach CA 5 von Gott eingesetzt. Seine Inhaber haben ein Recht darauf, dass mit ihnen menschenwürdig und auch im Konflikt-fall juristisch korrekt umgegangen wird. Das Predigtamt kann und muss seinem Inhaber genommen werden, wenn er Irrlehren verbreitet (9) oder sein Lebenswandel nachhaltig und fortdauernd dem Evangelium wider-spricht. Die bestehenden ordentlichen Lehr- und Disziplinarverfahren reichen dafür völlig aus. Das Rechtskonstrukt der Ungedeihlichkeit för-dert und legitimiert Lüge, Intrige, Rufmord, üble Nachrede, Verleum-dung, Beleidigung und Mobbing. Nach § 185 ff des Strafgesetzbuches sind diese Verhaltensmuster fast alle Straftatbestände. Sie sind weder mit dem Bekenntnis noch dem Evangelium zu vereinbaren. Sie wider-sprechen dem Wesen der Evang.-Luth. Kirche (10). Sie schaden dem Ansehen der Kirche in der Öffentlichkeit, führen zu Kirchenaustritten und innerer Emigration und beeinträchtigen das Gemeindeleben oft über Jahre.
Der Dienstgeber Kirche hat aufgrund seiner Fürsorgepflicht bei einem Konflikt genau hinzuschauen, nach den Ursachen zu suchen, die eigenen Anteile wahrzunehmen und zu korrigieren und einen mobbenden Kir-chenvorstand in seine Schranken zu weisen und zur Rechenschaft zu ziehen. Die Tatsache der Versetzungsmöglichkeit aufgrund von Unge-deihlichkeit verleitet den Dienstgeber aber dazu, dies nur halbherzig zu tun. Mit der Begründung: „Was da genau war, kann man sowieso nicht mehr herausfinden" werden „vertrauliche" Informationen und Verleum-dungen zu Lasten des Betroffenen als Tatsache akzeptiert, ohne dass objektiv nachgeprüft wird oder der Betroffene dazu Stellung nehmen kann.
So soll es unter Christen nicht sein. Die „Ungedeihlichkeit" schafft Pro-bleme, die es ohne § 86 Pfarrergesetz nicht gäbe. Sie verschärft beste-hende Konflikte, die sie eigentlich lösen will. Sie macht einen Pfarrer/ Pfarrerin in der Beziehung zu einem mobbenden Kirchenvorstand recht und schutzlos und ermöglicht ein als Willkür der Kirchenleitung wahrge-nommenes Handeln.
Das staatliche Beamtenrecht kennt den Tatbestand der Versetzung we-gen nichtgedeihlichen Wirkens nicht und schaffte bereits 1952 den War-testand ab. Wann entfernt die Kirche ihrem Auftrag und Wesen wider-sprechende Rechtsvorschriften?


Anmerkungen:
(1) Axel Esser/Martin Wolmerath, Mobbing. Der Ratgeber für Betroffene und ihre Interessenvertretung, Bund Verlag Frankfurt am Main 2008 (7) S. 70
s.a.: Arndt Hermanns/Elmar Krings, Praktische Mobbing-Prävention, Geilenkirchen 2004
Angelika Tiefenbacher, Mobbing erkennen, vorbeugen und erfolgreich zur Wehr setzen,
München 2008
(2) Esser a.a.O. S. 79
(3) Esser a.a.O. S. 73
(4) Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Göttingen 1976 (7) S. 509
(5) Bekenntnisschriften a.a.O. S. 632
(6) Bekenntnisschriften a.a.O. S. 508
(7) Esser a.a.O. S. 73
(8) Esser a.a.O. S. 32
(9) für M. Luther ist dies der einzige Grund, einen Pfarrer von seiner Stel-le zu entheben
s. H.E. Dietrich, Wider Kirchenraub und Kläffer. Dt. Pfarrerblatt 10/2008, S. 520
(10) s. OKR i.R. Dr. W. Hofmann, Korrespondenzblatt 11/2009, S. 172

 

 

 

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