Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.
Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.

Rollen der/des Oberkirchenrätin/rates im Kirchenkreis bei „Ungedeihlichkeit"


Beitrag von Pfr. Sieghart Schneider, Kirchstr.8 85111 Adelschlag für das Korrespondenzblatt


Bei einem Verfahren wegen nichtgedeihlichen Wirkens hat der/die Oberkirchenrat/rätin im eine aus meiner Sicht ausgesprochen proble-matische Schlüsselposition inne. An den Rollen, die er/sie einnimmt, möchte ich es verdeutlichen. Da das Geschlecht für diese Rollen keine Bedeutung hat, verwende ich der besseren Lesbarkeit wegen nur die weibliche Form. Ich bitte, sie so zu lesen, dass mit ihr auch männliche Oberkirchenräte im Kirchenkreis gemeint sind. Aus dem gleichen Grund wähle ich bei dem/der betroffenen Pfarrer/in die männliche Form und schließe in ihr analog die betroffenen Pfarrerinnen ein.


1 .Die OKRin im KK ist in erster Linie die Vorgesetzte des betroffenen Pfarrers. Sie hat dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen so be--schaffen sind, dass der Pfarrer gut arbeiten kann. Zu ihrer Fürsorge-pflicht gehört es, dass sie sich im Konfliktfall vor den Pfarrer stellt und ihn schützt vor unberechtigten Vorwürfen, vor Intrigen, Verleumdung und Rufmord.
2. Als (Regional-)Bischöfin weiß sie sich für die Dekanate im KK, für die Gemeinden und deren Leitungsorgan Kirchenvorstand verantwortlich. Sie schätzt die ehrenamtlichen Kirchenvorsteher und Kirchen Vorste-herinnen, respektiert sie und hat ein offenes Ohr für ihre Anliegen. So landen Beschwerden eines Kirchenvorstandes über einen Pfarrer schnell bei ihr mit der Erwartung, dass sie als Dienstvorgesetzte diese im Sinne des Kirchenvorstandes aufnimmt und ordnet.
3. Um die vorgebrachten Unstimmigkeiten klären zu können, schlüpft sie in die Rolle der Moderatorin. Möglichst neutral und allparteilich spricht sie mit den Beteiligten, versucht zu vermitteln und Lösungswege zu fin-den. Dabei ist kaum zu vermeiden, dass mobbende Kräfte ihr gezeigtes Verständnis und ihre Offenheit als Zustimmung und Bestätigung für ihr Tun deuten(l). Es kann dabei auch vorkommen, dass die OKRin von sich aus das Verfahren zur Ungedeihlichkeitsfeststellung nicht einleiten will, dass sie aber gleichzeitig signalisiert, sie werde es unterstützen, wenn eine klare Mehrheit des Kirchenvorstandes für dieses Verfahren stimmt. Damit öffnet sie den mobbenden Kräften alle Türen. Der von Mobbing betroffene Pfarrer dagegen fühlt sich allein gelassen und fasst schon vorverurteilt. Wenn die OKRin nicht weiterkommt, vermittelt sie eine Mediation oder Ähnliches nach Art. 87a Pfarrergesetz.
4. Sobald ein derartiger Konflikt an die Öffentlichkeit dringt, übernimmt sie die Rolle der Repräsentantin der Kirche. Ziel ist es nun, in der Öf-fentlichkeit ein schlechtes Image zu vermeiden. Jede und jeder soll se-hen können, dass die Kirchenleitung entschlossen, gut, richtig und recht-mäßig handelt. Wenn es dabei soweit kommt, dass die OKRin öffentlich macht, dass ihres Erachtens Ungedeihlichkeit besteht und ein gedeihli-ches Wirken nicht wieder hergestellt werden kann, verbaut sie eventuell noch bestehende Wege zur Verständigung ebenso wie die berufliche Zu-kunft des betroffenen Pfarrers an diesem Ort(2).
5. Als nächstes agiert die OKRin im KK als Ermittlerin und Berichter-statterin. Aufgrund ihrer Informationen verfasst sie einen Situations-bericht, der die wesentlichen entscheidungserheblichen Tatsachen ent-halten soll. Er ist gleichzeitig der Antrag an den LKR, zu prüfen, ob ein Erhebungsverfahren einzuleiten ist. Als Antragstellerin kommt die OKRin im KK in die Rolle der Anklägerin. Nachdem der betroffene Pfar-rer dazu gehört wurde, entscheidet der Landeskirchenrat, dem die OKRin im KK stimmberechtigt angehört, ob ein gedeihliches Wirken zweifelhaft ist.
6. Es geht also nicht nur um eine Beschreibung der Situation, sondern auch um ein konkretes Werturteil. Die OKRin im KK ist damit Beurteile-rin, von der abhängt, ob der LKR Erhebungen einleitet oder nicht. In die-sem Zusammenhang können Bewertungen sehr unterschiedlich ausfal-len. Zum Beispiel: In einer Dienstbesprechung steht ein Hauptamtlicher auf und verabschiedet sich mit den Worten, dass es ihn überfordere, mit dem betroffenen Pfarrer zusammen zu arbeiten oder gemeinsam mit ihm einen Gottesdienst zu gestalten. Die OKRin im KK sieht darin einen Beleg dafür, dass ein gedeihliches Wirken nicht mehr möglich ist. Der Rechtsanwalt des Betroffenen sieht darin eine Dienstpflichtverletzung dieser Person, die dem Pfarrer keineswegs zur Last gelegt werden kann; vielmehr sei der Dienstherr verpflichtet, den Pfarrer gegen die dadurch verursachte Behinderung seines Dienstes zu schützen.
Im Blick auf den betroffenen Pfarrer steht bereits zu diesem Zeitpunkt ein zweites Urteil fest. Es lautet: Eignungsminderung, beurteilungsmä-ßige Herabstufung, Beschränkung der Bewerbungsfähigkeit. Wenn der Pfarrer zu einem Wechsel bereit ist, erfährt er, dass er nicht auf eine gleichwertige Stelle versetzt wird, so wie es das VELKD- und Beamten-recht vorsieht, sondern dass er sich auf eine Stelle minderer Anforde-rung bewerben muss. Für eine/n Dekan/in ist dabei eine Dekansstelle ausgeschlossen. Für eine bisher auf einer hervorgehobenen Pfarrstelle eingesetzte Person gibt es nur noch eine nicht hervorgehobene Pfarr-stelle, möglichst eine, auf die sich niemand beworben hat und die gege-benenfalls bereits in den Erinnerungen steht. Die betroffene Person wird nicht versetzt, da man sie dann auf einer vom Verantwortungs- und Aufgabenbereich her gleichwertigen Stelle einsetzen müsste(3). So darf sich die betroffene Person mit einer Bewerbung „freiwillig" degradieren. Immerhin erhält sie, wenn sie bereits 10 Jahre in einer höheren Vergü-tungsgruppe gearbeitet hat und über 50 Jahre alt ist, diese Vergütungs-gruppe auch auf einer niedriger eingruppierten Stelle.
7. Die OKRin im KK ist nun Anwältin des Verfahrens. Sie achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden, die Rechtmäßigkeit gewahrt wird und mindestens versucht wird, mobbenden Kräften Grenzen zu setzen. Dem betroffenen Pfarrer legt sie eine Schweigepflicht auf und unter-sagt ihm sich in irgendeiner Form zu seiner Situation zu äußern. Unter solchen Bedingungen ist eine Verabschiedung, die der Wahrheit und der Liebe verpflichtet ist, erheblich erschwert. Ein Beistand für den betroffe-nen Pfarrer ist nicht vorgesehen. Um nicht völlig schutz- und rechtlos dazustehen, muss er sich auf eigene Kosten eine/n Rechtsanwältin/-an-walt nehmen.
8. Hat der/die mit den Erhebungen vom Landeskirchenrat beauftragte Jurist/in seine/ihre Arbeit getan, wechselt die OKRin im KK in die Rolle einer Gutachterin. Nach Art. 87b(4) Pfarrergesetz erstellt sie eine gut-achtliche Stellungnahme, die dem Landeskirchenrat vorgelegt wird.
9. Schließlich ist sie als Mitglied des Landeskirchenrates an der Entschei-dung beteiligt, ob Ungedeihlichkeit vorliegt oder nicht. Die Vorgesetzte wird nun zur Richterin, nachdem sie zuvor als Bischöfin, Moderatorin, Vermittlerin, öffentliche Repräsentantin der Kirche, Berichterstatterin, Beurteilerin und Gutachterin agiert hat. Aus meiner Sicht ist ein solches Verfahren kein „im Ergebnis offenes Erhebungsverfahren"(4). Zumindest für die OKRin im KK steht das Urteil, dass der betroffene Pfarrer zu ge-hen hat, bereits viel früher fest.


Ein Verfahren, das eine derartige Machtfülle und eine solche Rollenviel-falt auf eine einzige Person konzentriert, gehört in ein System von Ob-rigkeit aus vergangener Zeit. Moderne rechtsstaatliche Prinzipien, wie die klare Trennung von Ankläger und Richter, Gutachter und Vorge-setzter werden nicht beachtet. Dass bis zur objektiven Feststellung eines Versagens die Unschuldsvermutung gilt, wird übergangen. Das Prinzip „in dubio pro reo" (im Zweifelsfall für den Angeklagten) wird außer Kraft gesetzt. Grundlegende christliche Werte werden nicht be-rücksichtigt. Ich kenne keine ethisch legitimierte Beurteilung eines Sach-verhaltes, bei dem eine Bestrafung erfolgt, obwohl keine gravierenden Verfehlungen vorliegen und keine Schuld festgestellt oder nachgewie-sen wurde. Der betroffene Pfarrer empfindet den erzwungenen Weg-gang als Bestrafung. Oft verliert auch der Ehepartner die Arbeitsstelle, da der zukünftige Dienstort zu weit vom bisherigen Arbeitsplatz ent-fernt ist. Die kirchliche und weltliche Presse weist Schuld zu und titelt: "Gescheiterter N.N. wird Pfarrer in ... "(5). Das gewöhnliche in dem Pro-zess nicht eingebundene Gemeindeglied folgert: "Da muss ja etwas ganz Schlimmes passiert sein, wenn die Kirche mit einem Pfarrer so umgeht. Schließlich sitzen im Kirchenvorstand doch lauter ehrenwerte Leute"(6). Der gesamte Prozess enthält eine unangemessene Disproportion zwi-schen den Rechten des betroffenen Pfarrers und den Rechten des Kir-chenvorstandes bzw. der Kirchenleitung. Dieses asymmetrische Gefälle wird weder der Sache noch der betroffenen Person gerecht. Das Ver-fahren lässt sich m.E. auch nicht mit dem Leitbild der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, offen und verlässlich zu sein, vereinbaren.


Anmerkungen
(1) Axel Esser/Martin Wolmerath, Mobbing, Frankfurt/Main 2008 (7) S. 32
(2) Dass der betroffene Pfarrer aus der Zeitung erfährt (Fränkische Lan-deszeitung 26.1.2010), dass die OKRin im KK seine gesundheitliche Eig-nung auch für eine vom Aufgabenbereich wesentlich kleinere Stelle anzweifelt, wird dabei als unvermeidbarer Kollateralschaden hingenom-men.
(3) Diese Praxis beschreibt OKRin Dr. Karla Sichelschmidt im Korrespon-denzblatt 3/2010, S.50 mit den Worten, dass der LKR die Gaben und Fä-higkeiten des/der betroffenen Pfarrers/in kennt und „die Kenntnis über geeignete freie Stellen hat, um die weitere berufliche Perspektive ge-zielt fördern und unterstützen zu können."
(4) vgl. Dr. Karla Sichelschmidt, Korrespondenzblatt 3/2010, S.49
(5) epv 26.2.2010/ Fränkische Landeszeitung 27.2.10
(6) s. Shakespeare, Julius Caesar 3.Akt, 2.Szene

 

 

 

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