Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.
Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.

Die gestohlene Menschenwürde

 

Hartmut Dieter                Stuttgart, 7. November 2020 

Kornbergstr. 32

70176 Stuttgart

 

 

               Die gestohlene Menschenwürde

     Anmerkungen zu zwei Verfahren vor dem Kirchlichen Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg
 

                   Verfahren VG 01/11 und VG 01/14

 

 

Ungeachtet des zeitlichen Abstands zu den oben angeführten Urteilen halte ich eine kritische Äußerung zu Aspekten der Verfahren vor dem Kirchlichen Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg VG 01/11 (Beschluss 07.12. 2012) und VG 01/14 (Beschluss 18.05.2018) für angebracht. Die Verfahren haben, auch im gesellschaftlichen Kontext, grundsätzliche Fragen aufgeworfen. Die Verfahren werden zusammen betrachtet, da das Kirchliche Verwaltungsgericht sich in seinem Beschluss zu VG 01/14 ausdrücklich auch auf das Verfahren VG 01/11 bezogen hatte.

 

I.1. Als Prozessbevollmächtigter der Klägerin kann ich mit einem fragwürdigen Umgang des Gerichts in diesen Verfahren hinsichtlich Gesetz und Recht nicht einverstanden sein. Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte sich in diesen Verfahren über Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte der Klägerin sowie Bestimmungen des DSG.EKD (Datenschutzgesetz der EKD) hinweggesetzt. Die Urteile hatten sich teilweise auf unkorrekte bzw. falsche Faktenlagen gestützt und waren mit einem richterlichen Ermessen nicht mehr vereinbar.

 

Den Verfahren lagen verschiedene datenschutzrelevante Klagen zugrunde. Das vorliegende Schreiben befasst sich im Wesentlichen mit dem Begehren der Klägerin, unter Berufung auf DSG.EKD § 15 (Fassung von 2002 bzw. 2013) Einsicht bzw. Auskunft zu erhalten hinsichtlich ihrer personenbezogenen Daten in einem die Klägerin belastenden Protokoll einer Kirchengemeinderatssitzung der Evangelischen Christuskirchengemeinde Stuttgart.

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte das Auskunftsbegehren der Klägerin abgewiesen. Bei der beklagten Kirchengemeinde war sie seit 1972 als Kirchenmusikerin tätig gewesen.

 

Am 15.05. 2006 hatte der Kirchengemeinderat der Beklagten bezüglich der Klägerin eine außerordentlich angesetzte Personalsitzung abgehalten, in der es nach eigenen Angaben der Beklagten um eine dienstrechtlich / disziplinarische Angelegenheit der Klägerin gegangen war. Seit 2007 kämpft die Klägerin nun vergeblich darum zu wissen, was man ihr vorgeworfen hatte bzw. was im Protokoll die Klägerin betreffend festgehalten ist.

 

Wehrlos unbekannten und in ihrem Arbeitsverhältnis virulent gewordenen Vorwürfen ausgeliefert gewesen zu sein, verfolgt die Klägerin bis heute (nähere Ausführungen dazu in Abschnitt II.)

 

Einzugehen ist auch auf Äußerungen und Feststellungen des Kirchlichen Verwaltungsgerichts, die dieses zur Frage der (Nicht)Geltung der Grundrechte in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg getroffen hat.

 

Hervorhebungen im Text durch Unterstreichen stammen vom Verfasser des Schreibens.

 

I.2. Zur Frage der Grundrechte in den Verfahren VG 01 / 11 und VG 01/14

 

Zwischen der Kirchengemeinde und der Klägerin bestand ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis. Bezüglich der datenschutzrechtlichen Klage, gestützt auf das Recht der Informationellen Selbstbestimmung, war die beklagte Kirchengemeinde in ihrer Funktion als eine Arbeitgeberin betroffen, die am allgemeinen Rechtsverkehr teilnimmt. Die Klageanträge betrafen keine innerkirchlichen Angelegenheiten, ein Bezug zu einer etwaigen „Loyalitätsobliegenheit“ war nicht gegeben und § 4 GG war ebenso wenig tangiert.

 

Unter diesen Voraussetzungen wäre die Rechtsprechung des Kirchlichen Verwaltungsgerichts der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in vollem Umfang der Geltung der Grundrechte bzw. der grundrechtsgleichen Rechte unterworfen gewesen, über die sog. mittelbare Drittwirkung bzw. Ausstrahlungswirkung der Grundrechte. Die Klägerin hätte vor dem Kirchlichen Verwaltungsgericht denselben grundrechtlichen Anspruch haben müssen wie Arbeitnehmer bei nichtkirchlichen Arbeitgebern.

 

 „Soweit die Kirchen... wirtschaftliche bzw. soziale Macht ausüben, sind sie in Bezug auf ihre Grundrechtsbindung nicht anders zu beurteilen als sonstige soziale Mächte“ (Prof. Karl Hermann Kästner, Artikel „Grundrechte in der Kirche“, „100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht“, S. 78).

 

„Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte gilt dort, wo Religionsgemeinschaften am allgemeinen Rechtsverkehr teilnehmen.“ (Jens Reisgies, Evangelische Kirchenrechtssetzung, S. 124)

 

Der Bevollmächtigte der Klägerin hatte bereits in der mündlichen Verhandlung vom 07.12. 2012 auf den Grundrechtsbezug der gestellten Anträge hingewiesen. Das Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche stellte jedoch in seinem Beschluss vom 07.12. 2012 eine grundrechtliche Bindung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg grundsätzlich in Frage, obwohl es diesem bewusst war, dass die beklagte Kirchengemeinde bezüglich der Klage als eine am allgemeinen Rechtsverkehr teilnehmende Arbeitgeberin einzustufen war:

 

„Im Übrigen ist in Bezug auf Vorschriften des Grundgesetzes zu bemerken, dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die Evangelische Kirche als eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts (…) - und demzufolge auch eine kirchliche Behörde – als Grundrechtsträger gleichzeitig und stets der Grundrechtsbindung unterliegt.“ (Beschluss 07.12. 2012)

 

Im Beschluss VG 01/14 vom 18.05. 2018 hatte das Kirchliche Verwaltungsgericht noch einmal ausdrücklich auf diese Feststellung aus dem Verfahren VG 01 / 11 hingewiesen, ungeachtet gegenteiliger Aussagen in höchstrichterlichen Urteilen und der Tatsache, dass der Bevollmächtigte der Klägerin in der Klageschrift vom 24. April 2014 ausführlich und detailliert auf die Grundrechts-relevanz der Klage aufmerksam gemacht hatte.

 

Das Wesen der Grundrechte besteht u.a. darin, dass sie aus sich heraus und als Teil der rechtsstaatlichen Normen und Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland Geltung besitzen und nicht von Gewährung oder Machtwillen eines Arbeitgebers bzw. einer Behörde abhängig sind. Das gilt auch für die Evangelische Landeskirche in Württemberg.

 

Eine öffentlich-rechtliche Körperschaft wie die Evangelische Kirche in Württemberg ist zudem in ganz besonderem Maße den Grundrechten verpflichtet. Dies geht aus Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts hervor (BVerfGE 102, 370):

 

 „Eine Religionsgemeinschaft ... muss rechtstreu sein. Sie muss die Gewähr dafür bieten, dass sie das geltende Recht beachten, insbesondere die ihr übertragene Hoheitsgewalt nur in Einklang mit verfassungsrechtlichen und den sonstigen gesetzlichen Bindungen ausüben wird ...

 

...Freilich darf auch außerhalb des Bereichs hoheitlichen Handelns von den korporierten Religionsgemeinschaften Rechtstreue verlangt werden. Der Staat muss darauf bedacht sein, dass durch das Handeln öffentlich-rechtlicher Gebilde Rechte Dritter nicht verletzt werden, selbst wenn diese Zuordnung zum öffentlichen Recht eher eine formelle ist...

 

...Korporierte Religionsgemeinschaften haben einen öffentlich-rechtlichen Status und sind mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Sie verfügen damit über besondere Machtmittel und einen erhöhten Einfluss in Staat und Gesellschaft. Ihnen liegen deshalb die besonderen Pflichten des Grundgesetzes

zum Schutz Dritter näher als anderen Religionsgemeinschaften...“

                                                          

Der Evangelische Oberkirchenrat hat eine Grundrechtsbindung für die Evangelische Landeskirche in Württemberg in Abrede gestellt. Er hatte ausgeführt, dass die Grundrechte ausschließlich Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat seien, soll bedeuten, dass man sich als Mitarbeiter/in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg nicht auf Grundrechte sowie grundrechtsgleiche Rechte berufen kann. Dies ist der Klägerin so auch widerfahren. Der Evangelische Oberkirchenrat befindet sich damit jedoch in einem Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, vgl. u.a.    Urteil Bundesarbeitsgericht vom 16.11. 2010 (AZ 9 A/R 573 / 09):

 

„Der grundrechtliche Schutz der Informationellen Selbstbestimmung erschöpft sich nicht in einem Abwehrrecht gegen staatliche Datenerhebung und Datenverarbeitung. Im Sinne objektiver Normgeltung zeitigt der Schutzgehalt auch im Privatrecht Wirkung, indem er auf die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften strahlt. Auch der Richter hat kraft Verfassung zu prüfen, ob Grundrechte von der Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften betroffen sind und diese gegebenenfalls im Lichte des Grundrechts ausgelegt und angewendet werden müssen.

 

Die rechtsstaatliche und grundrechtliche Bindung ergibt sich im Übrigen allein schon aus der Schrankenbestimmung des § 137, Abs. 3 WRV in Verbindung mit § 140 GG, zu der sich die Evangelische Landeskirche in Württemberg in § 2 ihres Kirchenverfassungsgesetzes bekannt hat:

 

Die evangelische Landeskirche ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig ordnet und verwaltet.“

 

Der Evangelische Oberkirchenrat hatte darauf hingewiesen, dass die Synode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg die Grundrechte abgelehnt hätte. Dazu ist diese nicht legitimiert.

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte in seinem Urteil VG 01/ 14 die irrige Rechtsauffassung vertreten und diese seinem Beschluss vom 18.05. 2018 zugrunde gelegt, dass es die Grundrechte allein schon dadurch beachten würde, indem es die Bestimmungen des DSG.EKD anwende. Entscheidend ist jedoch die Frage der richtigen Anwendung der grundrechtsrelevanten Bestimmungen des DSG-EKD, d.h. ob diese Bestimmungen sachgerecht im Sinne des Gesetzes angewendet und rechtliche sowie tatsächliche Sachverhalte korrekt zugrunde gelegt wurden. Dies war in beiden Verfahren nicht der Fall gewesen.

 

Bezeichnend für die Missachtung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ist hinsichtlich der vorliegenden Angelegenheit der Umstand, dass die Klägerin als Mitglied der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (mit Wohnsitz im Bereich des Stadtdekanats), im Zusammenhang mit dem Verfahren VG 01/14 wegen der Wahrnehmung ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz, d.h. der Einreichung einer Klage vor dem Kirchlichen Verwaltungsgericht, vom Stadtdekan diszipliniert und lebenslänglich für alle entgeltlichen wie ehrenamtlichen Orgeldienste gesperrt worden ist.

 

Ehrenamtlich hätte die Klägerin noch tätig sein dürfen, z.B. in der Flüchtlingshilfe oder im Hospiz-bereich, aber nicht bei gottesdienstlichen Orgelvertretungen. Das „Orgelspielverbot“ selbst hatte der Stadtdekan über seinen rechtlichen Zuständigkeitsbereich hinaus ausgesprochen. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin bereits von verschiedenen Kirchengemeinden (jeweils selbständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften) für Orgeldienste über ein ganzes Jahr hinweg fest verpflichtet gewesen und wäre auch weiter angefragt worden, wenn dies den Kirchengemeinden nicht untersagt worden wäre:

„...Es bleibt Ihnen unbenommen, Verträge mit anderen Rechtsträgern zu schließen bzw. Ihre Dienste irgendwo anders anzubieten. Die Angelegenheit wird als abgeschlossen betrachtet. Eine weitere Korrespondenz erfolgt in dieser Sache nicht. Sie müssen damit rechnen, dass Ihre jedwede weitere An- oder Rückfrage diesbezüglich unbeantwortet bleibt.“

Den Grund für die Maßnahme gegen die Klägerin hatte der Stadtdekan dieser nie mitgeteilt. Sie hatte diesen erst über den Evangelischen Oberkirchenrat, Pfarrer und weitere Dritte erfahren. Der Vorgang als Ganzes ist rechtlich als sittenwidrig (BGB § 138) und missbräuchlich einzustufen. Eine Berufung auf die Allgemeine Handlungsfreiheit (§ 2 GG) war daher ausgeschlossen. „Das Recht des Art. 2 GG steht unter dem Vorbehalt, dass nicht die Rechte anderer verletzt werden und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen. Daher findet...der auf Art. 2 GG beruhende Grundsatz der Vertragsfreiheit seine Grenze jedenfalls in den Vorschriften der Verfassung, die ein höherwertiges Rechtsgut gewährleisten und sichern wollen“ (BAGE 13, 168 = NJW1962, 1981)

 

Neben die rechtswidrige Disziplinierung war für die Klägerin noch die bedrückende Situation einer kirchlichen, sozialen und menschlichen Ausgrenzung getreten.

 

Kein Verantwortlicher der Landeskirche war gegen diesen Akt einer rechtswidrigen Einschränkung des effektiven Rechtsschutzes eingeschritten. Eine datenschutzrechtliche Klage im Rahmen eines von der Landessynode und der EKD erlassenen Gesetzes muss ohne negative, disziplinierende Folgen möglich sein.

 

II. Information zur Personalsitzung vom 15.05. 2006

 

Am 15.05.2006 hatte der Kirchengemeinderat der Beklagten bezüglich der Klägerin eine außerordentliche, abendfüllende Personalsitzung abgehalten. Die Personalsitzung hatte für die Klägerin ohne jegliche Vorahnung bzw. Vorinformation stattgefunden und so war ihr auch kein rechtliches Gehör gewährt worden.

 

Bereits früher hatte die beklagte Kirchengemeinde den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt und war vom Evangelischen Oberkirchenrat auf die vorherige Anhörungspflicht hingewiesen worden. Ein früherer Stadtdekan hatte der Klägerin bezüglich Personaldebatten schriftlich mitgeteilt, dass der / die Mitarbeiter/in dazu vorher gehört werden müsse.

 

Wenn dies schon bei einer Personaldebatte im Rahmen einer Kirchengemeinderatssitzung der Fall ist, hätte dieses „Muss“ bei einer außerordentlichen und abendfüllenden Personalsitzung von der beklagten Kirchengemeinde noch viel zwingender befolgt werden müssen. Gemeindepfarrer und Kirchengemeinde hatten mit dieser Handlungsweise gegen den Grundsatz von „Treu und Glauben“ (BGB § 242) und ihre Fürsorgepflicht (BGB § 241) verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht sieht bei Verstößen gegen das rechtliche Gehör auch die Menschenwürde verletzt.

 

Zu der Personalsitzung war auch der Bezirkskantor hinzugezogen worden. Dieser teilte im Auftrag des Kirchengemeinderats am 18.05. 2006 der zu dieser Zeit noch krankgeschriebenen Klägerin mit, dass in dieser Sitzung gravierende Vorwürfe und Beschwerden gegen sie erhoben worden seien, die er ihr aber nicht mitteilen könne. Sie, die Klägerin, würde daher zum 01.07.2007 umgesetzt werden (was rechtlich auf Grund ihres Arbeitsvertrags gar nicht möglich war). Im Gespräch war auch ersichtlich geworden, dass der Gemeindepfarrer die Klägerin kündigen wollte. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin auf Grund ihrer bereits langen Dienstzeit im Normalfall unkündbar.

 

Der Klägerin war im Juni 2007 bei der Einsichtnahme in ihre Personalakte nur eine unvollständige Personalakte vorgelegt worden, ohne irgendwelche Daten, Vorwürfe oder Inhalte bezüglich der Personalsitzung vom 15.05.2006.Die beklagte Kirchengemeinde hatte mit dieser Handlungsweise gegen den Arbeitsvertrag der Klägerin, die Fürsorgepflicht (BGB § 241) und die grundrechtsgleiche Bestimmung von „Treu und Glauben“ (BGB § 242) verstoßen.

 

Als die Klägerin im Juli 2007 den Gemeindepfarrer - zugleich ihr Dienstvorgesetzter und für sie seelsorgerlich zuständig - um die Mitteilung der in der Personalsitzung erhobenen Vorwürfe und Beschwerden gebeten hatte, hatte sie die lapidare Antwort erhalten:

                                                                      

Sie beziehen sich darin auf die nichtöffentliche Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006. Naturgemäß kann ich Ihnen über das in einer nichtöffentlichen Sitzung Besprochene keine Auskunft geben.

 

Im Juni 2010 hatte die Klägerin den Gemeindepfarrer um Einsicht in ihre „vollständige Personalakte“ (so wörtlich!) gebeten. Diese war ihr nicht gewährt worden.

                                                          

Im Verfahren VG 01/11 hatte sich die beklagte Kirchengemeinde bezüglich der Personalsitzung vom 15.05.2006 schriftsatzmäßig folgendermaßen geäußert:

 

22.Juni 2011: „...es wurde erörtert, welche dienstrechtlichen Folgen aus einem bestimmten Verhalten zu ziehen sind ...“

                                                                      

22.August 2011: „...Im Rahmen dieser Sitzung ging es allein und ausschließlich um eine dienst-rechtliche / disziplinarische Angelegenheit betreffend die Klägerin ...“

 

In einem Schreiben an den Evangelischen Oberkirchenrat hatte die Beklagte ausgeführt, es sei in der Sitzung vom 15.05. 2006 darum gegangen, den Dienstvertrag mit der Klägerin zu beenden.

 

Was sich hinter den „gravierenden Vorwürfen und Beschwerden“, dem dienstrechtlich vorgeworfenen „bestimmten Verhalten“ und der „dienstrechtlich / disziplinarischen Angelegenheit“ verborgen hatte, wurde bzw. wird der Klägerin bis heute beharrlich verheimlicht. 

 

III.1. Der Antrag der Klägerin auf Einsicht in ihre personenbezogenen Daten im Protokoll war im Verfahren 01/11 u.a. mit Verweis auf verschiedene Bestimmungen der Kirchengemeindeordnung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg abgelehnt worden. Der Antrag der Klägerin

beruhte jedoch auf der Anspruchsgrundlage von § 15 DSG.EKD („Auskunft an die betroffene Person. 1) Der betroffenen Person ist auf Antrag Auskunft zu erteilen über...“)

 

Die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Grund von Bestimmungen der Kirchengemeindeordnung war von vornherein rechtsfehlerhaft, denn die Kirchengemeindeordnung hätte in der vorliegenden datenschutzrechtlichen Angelegenheit gar nicht zur Anwendung kommen dürfen.                                                                                                                                             

Entsprechend der Normenhierarchie hätte sie hinter dem DSG.EKD als lex superior, lex posterior und lex specialis zurücktreten müssen. 

 

Die Kirchengemeindeordnung fußt nicht auf Sinn, Wesen und Inhalt des Grundrechts der Informationellen Selbstbestimmung bzw. des Persönlichkeitsrechts in der Ausgestaltung des DSG.EKD.

 

Sie stammt aus dem Jahr 1924 und konnte nicht datenschutzrechtlich konzipiert gewesen sein, denn das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung hatte sich erst aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12. 1983 („Volkszählungsurteil“) entwickelt. Die Kirchengemeinde-ordnung war für dieses Verfahren datenschutzrechtlich untauglich und unzuständig.

 

Die zentralen Begriffe des Informationellen Selbstbestimmungsrechts und des Datenschutzrechts, „personenbezogene Daten“ und „Betroffene(r)“, sind in der Kirchengemeindeordnung nicht enthalten. Dieser mangelte es daher von vornherein an der notwendigen datenschutzrechtlichen Legitimation.

 

Das Gericht hatte den Begriff Dritte(r)“ rechts- und systemwidrig aus der Kirchengemeindeordnung extrahiert und sinnwidrig auf das DSG.EKD übertragen, unter Ausschluss des zentralen Begriffes „Betroffene(r)“. Damit hatte es grundrechtswidrig gehandelt, weil es das Grundrecht auf „Informationelles Selbstbestimmungsrecht“ in seinem wesentlichen Kern verändert und entwertet hatte. 

Die Kirchengemeindeordnung enthält „Verschwiegenheitsvorschriften“, die mit dem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar sind. Es mangelt ihr an dem für das Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung unabdingbaren Grundrechts-bezug, d.h. dem Verweis auf die Schranken der rechtsstaatlichen Ordnung „...innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes § 2 Kirchenverfassungsgesetz sowie GG 140 in Verbindung mit WRV § 137, Abs. 3. § 2 Kirchengemeindeordnung führt lediglich aus:“...innerhalb der Schranken des Gesetzes ...“

                                                                      

Das Gericht hatte den Anspruch der Klägerin auf effektiven Rechtsschutz verletzt, indem es deren Klageanträge nicht ausschließlich auf der sachlich gegebenen und einschlägigen Gesetzesgrund-lage des DSG.EKD verhandelt hatte, sondern auf dem Boden einer Kirchengemeindeordnung, die inhaltlich das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung ausschließt, da es die Begriffe „personenbezogene Daten“ und  „Betroffene(r)“ nicht kennt.

 

Entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hatte das Gericht einfache und viel zu allgemeine Bestimmungen der Kirchengemeindeordnung ungeprüft über das Grundrecht der Informationellen Selbstbestimmung § 2, Abs. 1 i.V.m. § 1 GG, Abs.1 und damit auch über das Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde der Klägerin gestellt:

 

BAG Urteil 16.11.2010 „Auch der Richter hat kraft Verfassung zu prüfen, ob Grundrechte von der Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften betroffen sind und diese gegebenenfalls im Lichte des Grundrechts ausgelegt und angewendet werden müssen. 

 

Die Ablehnung des Klageantrags unter Verweis auf die Kirchengemeindeordnung war nicht nur grundrechtswidrig, sondern verstieß auch gegen § 2 Kirchenverfassungsgesetz der Evangelischen Landeskirche: „Die Evangelische Landeskirche ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die ihre

Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig ordnet und verwaltet.“

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte es unterlassen, die Grundrechtstauglichkeit der Kirchen-gemeindeordnung in datenschutzrechtlicher Hinsicht zu überprüfen. Diesbezüglich steht die Kirchengemeindeordnung gewissermaßen außerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.

 

III.2. Die weitere Begründung der Ablehnung war vom Gericht auf § 1, Abs. 3 Ziffer Nr. 2 DSG.EKD gestützt worden: „Dieses Kirchengesetz ist nur eingeschränkt anwendbar... auf nicht automatisierte Dateien, deren personenbezogene Dateien nicht zur Übermittlung an Dritte bestimmt sind...“

 

Diese Bestimmung war vom Gericht vollkommen falsch interpretiert und angewandt worden, willkürlich und entgegen Sinn und Wesensgehalt des DSG.EKD, denn die Klägerin war nie „Dritte“ im Sinne dieser Bestimmung, wie das Gericht unterstellte, sondern „Betroffene“ wie aus DSG.EKD

§ 2, Abs. 10 hervorgeht: „...Dritte sind Personen und Stellen außerhalb der verantwortlichen Stelle. Dritte sind nicht die betroffene Person ...“ und DSG.EKD § 15, Abs. 1 „Der betroffenen Person ist Auskunft zu erteilen über ...“ Das Gericht hatte diese Bestimmungen einfach übergangen und missachtet. 

 

Die Systematik des DSG.EKD zeigt außerdem, dass es bezüglich DSG-EKD § 1, Abs. 3 Nr. 2 um die Frage einer Übermittlung im Sinne von DSG.EKD § 2, Abs. 4 Nummer 3 geht („Übermitteln ist das Bekanntgeben von gespeicherten oder durch Datenverarbeitung gewonnenen personenbezogenen Daten an Dritte in der Weise, dass ...“ Die Klägerin konnte aber keine „Dritte“ sein.

 

Beim Antrag der Klägerin ging es um einen gänzlich anderen Sachverhalt, nämlich um das Auskunftsbegehren einer „Betroffenen“ bezüglich ihrer eigenen „personenbezogenen Daten“. Was gab es da zu „übermitteln“?

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte mit seiner Rechtsanwendung gegen das Willkürverbot verstoßen. Mit Berufung auf die Kirchengemeindeordnung unterstellte das Gericht, dass die Klägerin eine „Dritte“ sei, obwohl sie nach dem DSG.EKD eindeutig als eine „Betroffene“ anzusehen war. Maßgeblich konnte nur das DSG.EKD sein!

 

Auf Grund der Fiktion des Gerichts, dass die Klägerin eine „Dritte“ sei, müsste folgen, dass die Klägerin immer „Dritte“ ist, auch im Blick auf „automatisierte Dateien“. Eine Person kann bei derselben Sachlage nicht einmal „Dritte“ und dann „Betroffene“ sein! Dies würde bedeuten, dass in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg „Betroffene“ im Sinne des DSG.EKD grundsätzlich als „Dritte“ angesehen werden. Damit wäre das Auskunftsrecht im Sinne des DSG.EKD sowohl bei nicht-automatisierten wie automatisierten Dateien aufgehoben.

 

Die Klägerin konnte ihre Datenschutzklage nur als „Betroffene“ auf Grund von DSG.EKD § 15 „Auskunft an die betroffene Person“ eingereicht haben.

 

Dem Gericht musste auch aus anderen Gründen klar gewesen sein, dass die Klägerin nicht als „Dritte bezeichnet werden konnte. Der Bezirkskantor war im Anschluss an die Personalsitzung vom 15. Mai 2006 vom Kirchengemeinderat der Beklagten beauftragt worden, der Klägerin die Umsetzung auf Grund der vorgeblichen, aber geheim gehaltenen Beschwerden und Vorwürfen mitzuteilen.

 

Die Mitteilung an die Klägerin konnte doch wohl nicht an sie als eine „Dritte“, sondern nur als „Betroffene“ (!) erfolgt sein. Seit wann werden Mitteilungen bezüglich einer dienstrechtlich / disziplinarischen Personalsitzung sowie die ins Auge gefassten Konsequenzen „Dritten“ mitgeteilt und nicht der „Betroffenen“?

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte die entscheidungserhebliche Bestimmung DSG.EKD § 2,

Abs. 10 „Dritte sind nicht die betroffene Person...“ rechtsfehlerhaft übergangen. Es hatte zudem unterlassen, den Inhalt des Protokolls zu prüfen bzw. ob dieser überhaupt unter die Bestimmung DSG.EKD § 1, Abs. 3 Nr.2 subsumiert werden könnte.

 

Insofern hatte das Gericht gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 43, Abs. 1 Kirchliches Verwaltungsgerichtsgesetz verstoßen: „Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen...“

 

Dem Gericht wäre es ein Leichtes gewesen, den Sinn der Bestimmung DSG.EKD § 1, Abs. 3 Nr. 2 zu eruieren, wenn es dies nur gewollt hätte. Es hätte lediglich den maßgeblichen Kommentar zum DSG.EKD heranziehen müssen: Herbert Claessen, „Datenschutz in der Evangelische Kirche“.

 

„Die eingeschränkte Anwendbarkeit des Gesetzes gemäß Satz 1 auf die nicht automatisierten Dateien, … deren Daten nicht zur Übermittlung (an Dritte) bestimmt sind, betrifft manuelle Dateien zum internen Gebrauch. Dazu gehören etwa Adress- bzw. Patientenkarteien, auch Handkarteien mit Gemeindegliedern für seelsorgerliche Zwecke (...) oder zur Organisation befreundeter Zielgruppen, ebenso die gesammelten Stempelkarten bei der Zeiterfassung und die ärztliche Patientenkartei (...). Abgestellt wird auf die manuelle Verarbeitungsform und die Bestimmung zum internen Gebrauch.“  

 

Dieses Zitat aus dem Kommentar von Herbert Claessen war dem Kirchlichen Verwaltungsgericht im Übrigen in der Anhörungsrüge zu VG 01/ 11 zur Kenntnis gebracht worden. Das Gericht hatte sich dazu nicht geäußert. 

 

Der maßgebliche Kommentar „Datenschutz in der Evangelischen Kirche“ von Herbert Claessen war beim Kirchlichen Verwaltungsgericht durchaus in Benutzung, wie aus dem Urteil des Kirchlichen Verwaltungsgerichts VG 05/ 09 zu ersehen ist. Auch in diesem Verfahren war es um eine Frage der Informationellen Selbstbestimmung gegangen. Die Vorgehensweise des Kirchlichen Verwaltungerichts war willkürlich.

 

Die Fehlerhaftigkeit des gerichtlichen Urteils ist offensichtlich und lässt sich auch nicht mit einem richterlichen Ermessen rechtfertigen. Dies ergibt sich aus der Gegenüberstellung mit Ausführungen der Beklagten selbst, die dem Kirchlichen Verwaltungsgericht vorlagen.

 

22.Juni 2011 „...es wurde erörtert, welche dienstrechtlichen Folgen aus einem bestimmten Verhalten zu ziehen sind ...“  

August 2011: „...im Rahmen dieser Sitzung ging es allein und ausschließlich um eine dienstrechtlich / disziplinarische Angelegenheit betreffend die Klägerin...

 

In einem Schreiben an den Evang. Oberkirchenrat hatte die Beklagte zudem ausgeführt, dass es in der Sitzung vom 15.05. 2006 darum gegangen sei, den Dienstvertrag mit der Klägerin zu beenden“.

 

Gegenstand der außerplanmäßig angesetzten Personalsitzung waren also offensichtlich nicht „Adress- bzw. Patientenkarteien, Handkarteien ...,“ sondern massive Vorwürfe das Arbeitsverhältnis, das Verhalten und die persönliche Integrität der Klägerin betreffend, wodurch letztlich auch ihre Menschenwürde tangiert war.

 

Allein schon aus dem grundrechtsgleichen Grundsatz von „Treu und Glauben“ (BGB § 242), der jedem, auch einem kirchlichen Arbeitsverhältnis zu Grunde liegt, wäre das Gericht verpflichtet gewesen, die Einsicht in das Protokoll zu gewähren.

 

Das Gericht hatte gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen, da es den maßgeblichen Kommentar zum DSG.EKD bei der Urteilsfindung nicht herangezogen und wesentliche Ausführungen der Klageschrift nicht berücksichtigt hatte.

 

Der 1.Vorsitzende und Berichterstatter des Gerichts ging sogar soweit, dass er – entgegen den Aussagen der Beklagten - eine „dienstrechtlich/ disziplinarische Angelegenheit“ schlichtweg in

Abrede stellte, ohne das Protokoll zu kennen.

 

Das Gericht verletzte das Grundrecht der Klägerin auf effektiven Rechtsschutz:

„...Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen kann die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der materiellen Rechte nur gewährleisten, wenn sie auf einer zureichenden Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht. Der Untersuchungsgrundsatz (Amtsermittlungsgrundsatz) nach § 86 VWO ist daher Ausprägung des in Art. 19, Abs. 4 GG und Art. 67, Abs.1 LV gewährleisteten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz“.  (Pressemitteilung Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 31.03. 2015).

 

Ergänzend ist auf BverwG 7 C 30.15 hinzuweisen:

 

„Das Gericht darf ...nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweis-ergebnisse nicht zur Kenntnis nimmt oder in Erwägung zieht. Danach liegt ein Verstoß gegen dieses Gebot vor, wenn ein Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, in solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts“.

 

III.3. Dem Gericht hätte klar sein müssen, dass es nicht möglich ist, nicht-automatisierte Dateien vom generellen Einsichtsrecht in personenbezogene Dateien auf der Grundlage des Informationellen Selbstbestimmungsrechts auszunehmen. Wenn der Gesetzgeber dies so gewollt hätte, hätte er das Gesetz von vornherein anders formuliert, d.h. er hätte das DSG-EKD auf automatisierte Dateien beschränkt.

 

Mit der entscheidend fehlerhaften Interpretation und Anwendung der Bestimmung DSG.EKD § 1, Abs. 3 Nr. 2 hatte das Kirchliche Verwaltungsgericht gegen Sinn und Zweck des DSG.EKD verstoßen, das Grundrecht der Informationelle Selbstbestimmungsrecht der Klägerin gewissermaßen ausgehebelt. Denn eine Ausnahmeregelung (vgl. Kommentar Herbert Claessen), die im konkreten Fall nicht einmal zutreffend war, wurde vom Gericht dazu benutzt, sämtliche nichtautomatisierte Dateien aus dem Anwendungsbereich des DSG.EKD heraus zu nehmen.

 

Dementsprechend rechtswidrig ist der Leitsatz des Beschlusses zu VG 01/11: (vgl. Homepage Kirchliches Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg)

 

„Bei Protokollen über nichtöffentliche Kirchengemeinderatssitzungen handelt es sich im Grundsatz um nicht automatisierte Dateien, deren personenbezogene Daten nicht zur Übermittlung an Dritte bestimmt sind. Sie sind vom datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch daher grundsätzlich nicht umfasst“.

 

Im Kontext des Sachverhalts des Antrags der Klägerin und der Bestimmungen des DSG.EKD ist der Inhalt des Leitsatzes unlogisch und nicht nachvollziehbar:

 

a) Das Gericht erklärte, dass bezüglich nicht automatisierter Dateien grundsätzlich kein Auskunfts-anspruch bestehe.

 

b) Das Gericht setzte fehlerhaft den Vorgang „Übermittlung an Dritte“ mit einem „datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch an Betroffene“ gleich.

 

Das aus fünf Richtern bestehende Gericht, darunter drei Juristen bzw. zwei Richtern aus der baden-württembergischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, hätte wissen müssen, dass die Klägerin als Antragstellerin „Betroffene“ war und nicht „Dritte“ sein konnte. Es hätte diesen substantiellen und entscheidungserheblichen Unterschied erkennen können und im Urteil berücksichtigen müssen!

 

c) DSG.EKD § 16 regelt „Berichtigung, Löschung und Sperrung von Daten, Widerspruchsrecht“. Diese Regelung setzt das „Auskunftsrecht“ (§ 15) voraus, denn eine „Berichtigung, Löschung...“ kann nur auf Grund der Kenntnis gespeicherter Daten erfolgen. Die „Berichtigung, Löschung...“  bezieht sich in DSG.EKD § 16 uneingeschränkt sowohl auf automatisierte wie nicht-automatisierte Dateien!

 

d) Dasselbe trifft auf die landeskirchliche Archivierung eines die Klägerin belastenden Protokolls zu. Eine „Betroffene“ muss doch die Möglichkeit haben, sich rechtzeitig zu äußern, Klarstellungen zu treffen und zu korrigieren. Dies ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit!

 

Auch dies zeigt, dass die Interpretation der Bestimmung DSG.EKD § 1, Abs. 3 Nr. 2, die das Kirchliche Verwaltungsgericht seinem Urteil zugrunde gelegt hatte, entscheidungserheblich fehlerhaft war. 

 

In der Folge zeigte sich die Gefahr dieses Urteils und seiner „Verselbständigung“. Unter Berufung auf eben dieses Urteil des Kirchlichen Verwaltungsgerichts hatte der Stadtdekan der Klägerin die Einsichtnahme in eine sie existentiell betreffende E-Mail verweigert. Die Rundmail – eine unbestreitbar automatisierte Datei - war über das Stadtdekanat u.a. an alle Pfarrämter und Gemeinden des Stadtdekanats gerichtet worden. Die E-Mail, die nach dem Urteil des Kirchlichen Verwaltungsgerichts als automatisierte Datei von der Klägerin hätte eingesehen werden können, war einfach – obwohl automatisiert (!) - zu einer nicht-automatisierten E-Mail erklärt worden, um die personenbezogenen Daten der Klägerin deren Kenntnis zu entziehen.

 

Sinn und Zweck des DSG.EKD und das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung waren damit gänzlich ad absurdum geführt bzw. abgeschafft worden. Die Intervention des Datenschutzbeauftragten der Evangelischen Landeskirche in Württemberg war vergeblich. Er hatte zum Ausdruck gebracht, dass er die Persönlichkeitsrechte der Klägerin beim Dekanatamt Stuttgart nicht mehr gewährleistet sehe.

 

III.4. a) Die Entscheidung des Gerichts verstieß außerdem gegen den Gleichheitsgrundsatz bzw. die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 3 GG, nämlich, dass Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln sei. Dieses Prinzip sei verletzt, wenn wesentlich Gleiches willkürlich ungleich behandelt werde.

 

Das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung, im konkreten Fall die Einsicht in personenbezogene Daten, kann nicht davon abhängig gemacht werden, in welcher Form diese Daten vorliegen, nicht automatisiert oder automatisiert, denn inhaltlich würde es sich immer um dieselben Daten handeln. Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte damit inhaltlich Gleiches willkürlich ungleich behandelt.

 

b) Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz besteht auch im Blick auf die „kirchliche Dienstgemeinschaft“ in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Nach § 26 DG. EKD steht den Pfarrerinnen und Pfarrern ein in jeder Hinsicht unbeschränktes Einsichtsrecht in ihre eigenen personenbezogen Daten zu, ob automatisiert oder nichtautomatisiert:

 

“Die beschuldigte Person und ...haben ein Recht auf Einsicht in die Akten des Disziplinarverfahrens ...sowie ein Recht auf Unterrichtung über die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten für diese Akten...“

 

Weshalb werden entsprechend dem Urteil des Kirchlichen Verwaltungsgerichts (07.12. 2012, VG 01/ 11) im Fall der Klägerin als einer kirchlichen Mitarbeiterin nichtautomatisierte Dateien vom Auskunftsrecht ausgenommen, aber bei Pfarrerinnen und Pfarrern nicht?

 

Die Bestimmung § 26 DG.EKD ist Ausdruck rechtsstaatlichen Denkens und der Menschenwürde. Von der Begrifflichkeit des Wortes ausgehend kann Menschenwürde nicht an den rechtlichen Status einer Person angebunden sein, d.h. Pfarrerinnen / Pfarrer oder eben „nur“ Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter, sondern sie ist verbunden mit der allen gemeinsamen menschlichen Existenz und Würde. Offenbar gibt es in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg doch ein „Zwei-Klassen-Recht“.

 

Vergleichend sei nochmals auf die Aussage der beklagten Kirchengemeinde im Schriftsatz vom 22.08. 2011 hingewiesen:  “...Im Rahmen dieser Sitzung ging es allein und ausschließlich um eine dienstrechtlich/ disziplinarische Angelegenheit betreffend die Klägerin ...“

 

Prof. Karl-Hermann Kästner „Grundrechte in der Kirche“, in „100 Begriffe aus dem Staatskirchen-recht“: 

„Das Menschenrecht der unantastbaren ´Menschenwürde´ wird von der Verfassung jeder Rechtsbeziehung – auch der Freiheit kirchlichen Wirkens -  vorangestellt. Auch den Kirchen wächst deshalb die Pflicht zu, um die Beachtung dieses für die geltende Ordnung schlechthin konstituierenden Prinzips besorgt zu sein; dem werden sie auch nicht durch die Möglichkeit eines Kirchenaustritts etwa Betroffener nicht enthoben. Art.1 Abs.1 S. 1 GG gilt mithin auch den Kirchen gegenüber unmittelbar und absolut.“

 

Weshalb wurde der Klägerin durch das Kirchliche Verwaltungsgericht mittels einer rechtsfehler-haften Anwendung kirchlicher Bestimmungen das Menschenrecht der unantastbaren Menschenwürde“ verweigert?

 

Es ist sehr bedenklich, dass in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg die Kirchengemeindeordnung der Landeskirche gewissermaßen als ein nicht autorisiertes und fehlerhaftes „Nebendatenschutzgesetz“ faktisch über Art.1 Abs.1 S.1 GG gestellt wird.

 

III.5. Die Entscheidung des Kirchlichen Verwaltungsgericht verletzte auch GG § 19, Abs. 2. Ein Grundrecht darf in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden, auch nicht in einem Teilaspekt wie „nicht-automatisierten“ Dateien.

 

Die Verweigerung der Einsichtnahme in die personenbezogenen Daten der Klägerin durch das Kirchliche Verwaltungsgericht stellt einen Verstoß gegen die Menschenwürde der Klägerin dar und ist Zeichen einer fehlenden Transparenz in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Hinzuweisen ist auf Ausführungen von Landesbischof July in seiner Predigt in der Stuttgarter Stiftskirche zur Eröffnung der Landessynode im Juli 2015:

 

...Viele Menschen erwarten, dass die Kirche versucht, in ihrer eigenen Struktur und Rechtsgestalt verlässlich, gerecht und transparent zu sein.“

Wo waren hinsichtlich des Auskunftsbegehrens der Klägerin „Gerechtigkeit und Transparenz vorhanden?

 

IV.1. Die Beklagte hatte in ihrem letzten Schriftsatz vor der mündlichen Verhandlung (VG 01/11) mit dem dem Verweis auf DSG.EKD § 1, Abs. 3 Ziffer 2 wesentlich Neues“ vorgebracht.

 

Der Schriftsatz vom 23. November 2012 war der Klägerin bzw. ihrem Bevollmächtigten vom Kirchlichen Verwaltungsgericht erst am 4. Dezember zugeleitet worden, obwohl die mündliche Verhandlung bereits auf den 7. Dezember terminiert gewesen war.

 

Die verspätete Weiterleitung dieses Schriftsatzes durch das Kirchliche Verwaltungsgericht verstieß gegen die Vorschrift der ZPO § 132, Abs. 1 und 2 sowie in gravierender und entscheidungserheblicher Weise auch gegen den Anspruch der Klägerin auf (rechtzeitiges) rechtliches Gehör.

 

1) „Der vorbereitende Schriftsatz, der neue Tatsachen oder ein anderes neues Vorbringen enthält, ist so rechtzeitig einzureichen, das er mindestens eine Woche vor der mündlichen Verhandlung zugestellt werden kann.“

 

2) „Der vorbereitende Schriftsatz, der eine Gegenerklärung auf neues Vorbringen enthält, ist so rechtzeitig einzureichen, dass er mindestens drei Tage vor der mündlichen Verhandlung zugestellt werden kann.“

 

Das Gericht hätte den Schriftsatz der Klägerin bereits am 30. 11. 2012 und nicht erst am 4.12. 2012 zugestellt haben müssen (vgl. Druckenbrodt, NJW 2013; 2390, 2393). Der Klägerin war es daher nicht mehr möglich, bis zum Tag der mündlichen Verhandlung auf das „neue Vorbringen“ im Schriftsatz der Beklagten vom 23.11. 2012 mit einer Gegenerklärung auf neues Vorbringen“ zu reagieren.

 

Die Vorschrift des § 132 ZPO ist wesentlich mehr als eine rein „ordnende“ Bestimmung. Sie ist rechtsstaatlich konstitutiv für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens, für die Garantie des rechtlichen Gehörs, die Rechtsweggarantie und die Gewährleistung der Unparteilichkeit des Gerichts. Diese Aspekte waren auf Grund des Vorgehens des Kirchlichen Verwaltungsgerichts nicht mehr gewährleistet.

 

Der Klägerin und ihrem Bevollmächtigten war es unmöglich gemacht worden, sich in der Kürze der Zeit bezüglich der tatsächlichen Bedeutung von DSG.EKD § 1, Abs. 3 Ziffer 2 in ausreichendem Maße rechtskundig zu machen. Auch diesen Aspekt hat die Fristenregelung des § 132 ZPO im Auge. Das Gericht hatte damit den Grundsatz der „Waffengleichheit“ und eines fairen Verfahrens verletzt. 

 

Unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung hatte das Kirchliche Verwaltungsgericht seine interne Beratung abgehalten und seine Beschlussfassung abgesprochen. In dieser Beratung hatte bezüg-lich des „neuen Vorbringens“ nur der Schriftsatz der Beklagten vorgelegen! Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Klägerin weder schriftlich noch mündlich zum „neuen Vorbringen“ äußern können.

 

In der sich unmittelbar daran anschließenden mündlichen Verhandlung war erkennbar gewesen, dass sich das Gericht rechtlich das „neue Vorbringen“ der Beklagten bereits zu eigen gemacht hatte, bevor sich die Klägerin überhaupt dazu hätte äußern können. Als der Bevollmächtigte der Klägerin begründen wollte, dass die Interpretation von § 1, Abs. 3 Ziffer 2 DSG.EKD - wie von der Beklagten im „neuen Vorbringen“ eingeführt – „abwegig“ sei, war er vom 1.Vorsitzenden des Gerichts rüde unterbrochen und gerügt worden.

                                                                      

Die Fortsetzung seiner beabsichtigten Erklärung war dem Bevollmächtigten unmöglich gemacht, der Klägerin das rechtliche Gehör genommen und diese durch die unsachliche, emotional überzogene Intervention des 1. Vorsitzenden eingeschüchtert worden. Das Gericht hatte die rechtliche Erörterung der in Frage stehenden entscheidungserheblichen Bestimmung abgewürgt.

 

Hinzuweisen ist auf die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts (1990): ... der Artikel 103 GG gebe „den Beteiligten ein Recht zur Äußerung über Tatsachen, Beweisergebnisse und die Rechtslage und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen.“

 

sowie des Bundesverwaltungsgerichts (BverwG AZ 1 BvR 1225/15 29. Juli 2016):

 

„Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können... Da dies nicht nur durch tatsächliches Vorbringen, sondern auch durch Rechtsausführungen geschehen kann, gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG dem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet auch, dass das entscheidende Gericht durch die mit dem Verfahren befassten Richter die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis und in Erwägung ziehen muss...“ 

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht war den vom Bundesverfassungsgericht sowie Bundesverwaltungsgericht formulierten rechtlichen Voraussetzungen bezüglich des rechtlichen Gehörs und einer fairen Verhandlungsführung nicht gerecht geworden.

 

Der Antrag der Klägerin, den der mündlichen Verhandlung beiwohnenden Datenschutzbeauftragten der Evangelischen Landeskirche in Württemberg zu hören, war vom 1. Vorsitzenden barsch und ohne Begründung abgelehnt worden.

 

Die Parteinahme des Gerichts für die Beklagte war deutlich wahrnehmbar. Es hatte sich von vornherein entsprechend dem „neuen Vorbringen“ der Beklagten einseitig deren Argumentation zu eigen gemacht. Zugleich hatte es der Klägerin die Möglichkeit genommen, sich rechtlich adäquat kundig zu machen, sich vor der mündlichen Verhandlung in einem Schriftsatz zum „neuen Vorbringen“ der Beklagten zu äußern, in der mündlichen Verhandlung ihre Rechtsansicht darzustellen und die Bestimmung des § 1, Abs. 3 Ziffer 2 DSG.EKD inhaltlich und rechtlich zu erörtern, wie es § 67, Abs.1 des Kirchlichen Verwaltungsgerichtsgesetz vorschreibt: „Die oder der Vorsitzende hat die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern.“

 

Es war offensichtlich, dass das Gericht von Anfang an die Stützung des Urteils auf das „neue Vor-bringen“ der Beklagten bzw. die sinnwidrige Interpretation der Bestimmung § 1, Abs. 3 Nr. 2 DSG.EKD nicht durch rechtliche Argumente seitens der Klägerin und die Sachkenntnis des Datenschutzbeauftragten der Evangelischen Landeskirche gefährdet sehen wollte.

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte diesbezüglich gegen die Garantie des effektiven Rechtsschutzes verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu u.a. ausgeführt:

 

„...Auch zu Art. 103, Abs.1 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass das einfache Recht und seine Anwendung im Einzelfall von Verfassungswegen ein Ausmaß an Gehör eröffnen müssen, das sachangemessen ist, um dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden (…).

 

In diesen Entscheidungen kommt zum Ausdruck, dass sowohl die Rechtsweggarantie als auch die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs jeweils dem gleichen Ziel, nämlich der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes dienen. Das Gebot der Effektivität gilt danach nicht nur für die Eröffnung des Zugangs zum Gericht, sondern auch für das Recht, im Verfahren gehört zu werden.“   

 

Die Einseitigkeit des Kirchlichen Verwaltungsgerichts war auch im Verfahren 01/14 offenbar geworden. Als der Bevollmächtigte der Klägerin zurecht darauf hinweisen wollte, dass die Beklagte sich im Schriftsatz wahrheitswidrig“ geäußert hatte, war er vom 1. Vorsitzenden des Gerichts aufbrausend unterbrochen und tadelnd zurechtgewiesen worden. Es war dem Bevollmächtigten nicht mehr möglich, seine Ausführungen fortzusetzen.

 

IV.2 Wenn das Kirchliche Verwaltungsgericht wie auch der Evangelische Oberkirchenrat für die Evangelische Landeskirche in Württemberg hinsichtlich der Grundrechte eine mittelbare Grundrechtsbindung in Frage stellen, beanspruchen sie für die Evangelische Landeskirche in Württemberg gewissermaßen einen grundrechtsfreien Raum und gegenüber anderen wirtschaftlichen und sozialen Arbeitgebern ohne sachlichen Grund eine privilegierte arbeitsrechtliche Stellung.

                                                                      

Ein privatrechtlich angestellter kirchlicher Mitarbeiter ist damit in der Landeskirche schlechter gestellt als ein Mitarbeiter im nichtkirchlichen Bereich. Der Willkür ist Tür und Tor geöffnet, die

Gleichheit vor dem Gesetz in Frage gestellt und eine Rechtssicherheit nicht mehr gewährleistet. 

 

Dies steht im Widerspruch zu der rechtsstaatlichen Grundlage der Schrankenbestimmung des § 137, Abs. 1 WRV („innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“) in Verbindung mit § 140 GG bzw. zur Selbstverpflichtung, die sich die Evangelische Landeskirche in Württemberg in § 2 des Kirchenverfassungsgesetzes auferlegt hat.

 

Widersprüchlich ist, dass Landesbischof July bzw. die Evangelische Landeskirche sich wiederholt in offiziellen Erklärungen für die Grundrechte, die Würde des Rechts und die Rechtsstaatlichkeit ausgesprochen haben, die Verwirklichung dieser Werte in der Rechtswirklichkeit des Alltags in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg jedoch offensichtlich nicht genügend umgesetzt wird.

 

In einer Pressemitteilung der Evangelischen Landeskirche vom 29.05. 2009, gerichtet an eine hochstehende juristische Persönlichkeit des Landes Baden-Württemberg, wurde Landesbischof July folgendermaßen zitiert:

 

„Er freue sich als Landesbischof und als Bürger des Landes, dass 'Sie sich für die Würde und den Anspruch des Rechts in Staat und Gesellschaft einsetzen und zugleich den menschenfreundlichen Charakter der Rechtsstaatlichkeit verdeutlichen.'“  

 

Gehört die Evangelische Landeskirche in Württemberg nicht auch zu „Staat und Gesellschaft?

 

Haben die von Landesbischof July hervorgehobenen Werte auch rechtliche Geltung innerhalb der Evangelische Landeskirche in Württemberg bzw. für die in ihr tätigen Mitarbeiter?

 

Zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai 2020 hatte Landesbischof July u.a. ausgeführt:

 

„... Wir als Kirche treten ein für Menschenwürde, Menschenrechte und Gerechtigkeit....

 

Das Fundament des Grundgesetzes und damit die Grundlage unseres Rechtes ist die Garantie der allgemeinen Menschenwürde: ´die Würde des Menschen ist unantastbar´. Die Evangelische Kirche ist darum aus Überzeugung den Weg der vorbehaltlosen Bejahung der neuzeitlichen Demokratie mitgegangen. Christliches Denken hat die Bedeutung der Menschenrechte und Menschenwürde betont und damit dem Grundgesetz einen Weg mitbereitet. ...“

 

Diese in „Staat und Gesellschaft“ hinein gesprochenen Worte von Landesbischof July stehen im Widerspruch zu der Realität, der sich die Klägerin in der Evangelischen Landeskirche von Württemberg bis heute ausgesetzt sieht. Um die Einsicht in ihre sie belastenden personenbezogenen Daten im Protokoll vom 15.05. 2006 kämpft sie inzwischen seit 2007!     

 

Für einen privatrechtlich angestellten Mitarbeiter in der Evangelischen Landeskirche ist es eine Zumutung feststellen zu müssen, dass er sich nicht wirklich auf Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte berufen kann, im Unterschied zu Angestellten im nichtkirchlichen Bereich. Der Grundsatz von „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB), die Fürsorgepflicht (§ 241 BGB) und die Pflicht zur Transparenz gebieten es, dass Mitarbeitern bei der Eingehung des Arbeitsverhältnisses dies

mitgeteilt wird und dass sie mit möglichen disziplinarischen Folgen bei Berufung auf Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte rechnen müssen.

 

In einer Pressemitteilung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vom 1. Januar 2019 mit der Überschrift „In der Wertediskussion Flagge zeigen“ heißt es anlässlich des „Siebzigjährigen“ des Grundgesetzes u.a.:

 

Für die Kirchen gehört es zum Selbstverständnis, in der gesellschaftlichen Wertediskussion Flagge zu zeigen. Da die Stärkung demokratischer Werte die Basis für unsere freiheitliche Verfassung ist, werden sich die Kirchen im Wahljahr 2019 verstärkt in die Diskussion einbringen.“    

                                                           

Anlässlich dieses Jubiläums ging es bei Veranstaltungen und in Schulen auch darum, „mit den Menschen zu den Themen Demokratie und Grundrechte ins Gespräch zu kommen“.

 

Würde des Rechts, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Menschenwürde -  wer tritt im eigenen Bereich der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vorbehaltlos dafür ein?

 

V.1. Der Anspruch auf Einsicht in ihre personenbezogenen Daten hätte sich nicht nur aus dem Informationellen Selbstbestimmungsrecht der Klägerin und der korrekten (!) Auslegung von DSG.EKD § 1, Abs. 3, Ziffer 2 ergeben, sondern ebenso aus dem materiellen Personalaktenbegriff, der sich auf sämtliche personenbezogenen Daten eines Arbeitnehmers bezieht, die in einem inneren Zusammenhang mit dessen Dienstverhältnis stehen.

 

„Personalakten sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – für den Bereich des Beamtenrechts – des Bundesverwaltungsgerichts eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Bediensteten betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen...Es ist unerheblich, wie der Arbeitgeber einen Vorgang, der zu den Personalakten gehört, bezeichnet und wo und wie wer ihn führt und aufbewahrt. Allein entscheidend ist der Inhalt des Vorgangs“ (BAG, 7. Mai 1980 – 4 AZR 214/ 78).

 

Die personenbezogenen Daten der Klägerin im Protokoll der Personalsitzung vom 15.05.2006 sind Teil ihrer materiell-rechtlichen Personalakte, die auch vollständige Personalakte genannt wird.

Das Protokoll ist laut Urteil BAG eine „Urkunde“ mit „Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse (der Klägerin) betreffen.“

 

Das auf dem Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung beruhende personalaktenkundliche Einsichts- und Auskunftsrecht war bzw. ist auch für die Württembergische Landeskirche bestimmend, vgl. Rundschreiben AZ 25.00 Nr. 720 / 6.2 vom 10.12. 2004:

 

„Nach § 13 BAT haben Mitarbeitende ein Recht auf Einsicht in ihre vollständigen Personalakten.“

„Personalakten sind eine Sammlung von Urkunden und Unterlagen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem konkreten Arbeitsverhältnis stehen. Sie umfassen alle Vorgänge, die ein möglichst lückenloses Bild der Entstehung und Entwicklung des Arbeitsverhältnisses als historischen Geschehensablauf vermitteln können...“

 

Gemäß der Kirchlichen Anstellungsordnung § 3 KAO hätte die Klägerin ein unbeschränktes Recht auf Einsicht in ihre vollständigen Personalakten gehabt: „Die Beschäftigten haben ein Recht auf Einsicht in ihre vollständigen Personalakten.  

 

Dabei ist im Blick auf den materiellen Personalaktenbegriff unerheblich, ob diese Daten bzw. Dokumente unter dem Begriff Protokoll oder einem anderen Begriff geführt werden.

 

Da die Kirchliche Anstellungsordnung Teil des Arbeitsvertrags der Klägerin war, verletzte das Kirchliche Verwaltungsgericht mit seiner Entscheidung nicht nur das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht der Klägerin aus § 2, Abs. 1 GG, sondern missachtete auch die schuldrechtlichen Ansprüche aus deren Arbeitsvertrag, die auf dem grundrechtsgleichen Begriff von „Treu und Glauben“ (BGB § 242) beruhen.

 

Die einfache Bestimmung der datenschutzrechtlich untauglichen Kirchengemeindeordnung („geheimes Protokoll“ - AVO Zi 55) hätte gemäß der Hierarchie des Rechts dem grundrechtlichen Persönlichkeitsrecht der Klägerin untergeordnet sein müssen.

 

V.2. Der Gemeindepfarrer und 1. Vorsitzende des Kirchengemeinderats hatte in der mündlichen Verhandlung die Einsichtnahme der Klägerin in ihre personenbezogenen Daten im Protokoll mit der Begründung abgelehnt, die Teilnehmer der Personalsitzung hätten sich gegenseitig Verschwiegenheit zugesichert (vgl. § 31 Kirchengemeindeordnung).

                                                                          

Infolgedessen war es dem beauftragten Bezirkskantor nicht möglich, der Klägerin am 18.05.2006 den Grund für die Personalsitzung, die konkreten Vorwürfe und Beschwerden sowie die behauptete dienstrechtliche Verfehlung („bestimmtes Verhalten“) darzustellen. Kommuniziert wurden u.a. das Vorliegen von Vorwürfen und Beschwerden, Faktum und Datum der außerordentlichen Personalsitzung, Termin und voraussichtlicher Arbeitsort für die angekündigte Umsetzung.

 

Der Gemeindepfarrer hatte die „Verschwiegenheit“ auch hinsichtlich der Personalakte der Klägerin praktiziert. Denn der Klägerin war bei der Einsichtnahme ihrer Personalakte im Juni 2007 eine unvollständige und „belanglose“ Personalakte vorgelegt worden. Hinweise auf Beschwerden, Vorwürfe oder Fehlverhalten, die in der Personalsitzung erhoben worden waren, waren nicht enthalten. Die Klägerin war getäuscht worden. Die beklagte Kirchengemeinde hatte gegen den Grundsatz von „Treu und Glauben“ (BGB § 242) verstoßen. Nicht einmal die Tatsache der Sitzung selbst und das Datum waren in der vorgelegten „formellen“ Personalakte dokumentiert. 

 

Die fehlenden Personalaktendaten existierten natürlich weiterhin, jedoch für die Klägerin nicht einsehbar, z. B. im Dokument der Personalsitzung („Protokoll“).

 

Für den Bevollmächtigen der Klägerin, war es nicht vorstellbar – zu allerletzt in der Institution Kirche –, eine Mitarbeiterin mit der Mitteilung einer abendfüllenden, außerordentlichen Personalsitzung zu konfrontieren, sie darüber zu informieren, dass gravierende Vorwürfe und Beschwerden gegen sie erhoben worden seien, die man ihr aber nicht mitteilen könne, dass sie umgesetzt wer-den würde, und sie wissen zu lassen, dass es sich um eine dienstrechtlich / disziplinarische Personalangelegenheit gehandelt habe, ihr aber Vorwürfe, Beschwerden und das rügend behauptete „bestimmte Verhalten“ zu verheimlichen.

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte buchstäblich die Augen davor verschlossen, dass hier ein gravierender Verstoß gegen die Menschenwürde der Klägerin und ihr Persönlichkeitsrecht vorgelegen hatte und dass die Beklagte hinsichtlich der Personalakten gegen den grundrechtsgleichen Grundsatz von „Treu und Glauben“ (BGB § 242) sowie gegen die Bestimmung BGB § 611, Abs. 2 verstoßen hatte.

 

§ 242 BGB „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“

 

§ 611, Abs. 2 (Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag) „Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein“

 

Die Klägerin muss sich bis heute damit abfinden, dass ihr von der Evang. Landeskirche in Württemberg die Einsicht in ein Schriftstück der Kirchengemeinde mit ihren eigenen personenbezogenen Daten verweigert wird, das möglicherweise Vorwürfe enthält, ihre persönliche Ehre als Arbeitnehmerin in Frage stellt und rechtlich gesehen Teil ihrer materiell-rechtlichen Personalakte ist.

 

Rechtsstaatlich betrachtet ist dies ein vollkommen unhaltbarer Vorgang und offenbart einen Mangel an rechtsstaatlichem Bewusstsein in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

 

Das Dokument „Protokoll“, mit möglicherweise ehrenrührigen, aber unberechtigten Vorwürfen wird ins Kirchliche Archiv wandern, ohne dass der Klägerin der Inhalt bekannt ist bzw. sie sich je dazu hätte äußern können. Die Rechtsprechung des Kirchlichen Verwaltungsgerichts hat deren Recht auf „Berichtigung, Löschung“ etc. (DSG.EKD § 16) ausgehebelt, indem es nichtautomatisierte personenbezogene Dateien von Auskunft / Einsicht ausgeschlossen hatte.

 

Wie wäre denn im Fall einer ursprünglich automatisierten E-Mail zu verfahren, die laut Urteil VG 01/11 eingesehen werden kann? Diese wird durch Ausdruck in eine nicht-automatisierte Datei „konvertiert“ und erscheint im Protokoll einer Kirchengemeinderatssitzung nur noch als „nichtautomatisierte Datei“, da im Nachhinein die originale automatisierte E-Mail gelöscht worden war? Der ursprünglich bestehende Auskunftsanspruch kann nachträglich durch „Konversion“ und die Art der Unterbringung aufgehoben werden. Eine rechtliche Logik ist nicht mehr erkennbar.

 

Datenschutzrechtlich wie materiell-personalaktenrechtlich unterliegen personenbezogene Daten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nicht der (alleinigen) Verfügungsgewalt eines Arbeitgebers (vgl. auch LAG BW – Urteil vom 20.12. 2018, 17 Sa 11/18). Denn es handelt sich auch um die Daten, die einer betroffenen Person zugehörig sind.

 

Dies kommt auch zum Ausdruck in den Hinweisen zum Kirchengesetz über den Datenschutz der Evangelischen Kirche in Deutschland (12. November 1993):“...Datenschutz ist Persönlichkeitsschutz. Es geht um das Recht und die Freiheit des Einzelnen mit darüber zu entscheiden, wer wann was über seine persönlichen Daten erfahren darf und soll...

 

Die Instrumentalisierung der „Verschwiegenheit“ oder „Vertraulichkeit“ gegen das Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde der Klägerin war rechtsmissbräuchlich und sittenwidrig. „Vertraulich“ könnten Äußerungen nur sein, soweit es sich um private Belange der Teilnehmer dieser Personalsitzung handelte oder um Informationen bzw. personenbezogene Daten, die nicht im Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit der Klägerin gestanden hätten (vgl. OVW NRW, 1 B 1260/14).

 

Die Inanspruchnahme einer „Vertraulichkeit“, um mögliche rechtswidrige Vorgänge oder unberechtigte Vorwürfe zu vertuschen, wäre ebenso missbräuchlich. Sie könnte sich daher nicht auf ein „berechtigtes Interesse“ berufen. 

 

Mit der Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Einsicht in ihre eigenen personenbezogenen Daten im Protokoll ist dieses hinsichtlich des berechtigten Anspruchs der Klägerin zu einem geheimen Dokument umfunktioniert worden. Der Verstoß gegen die Menschenwürde (§ 1 GG, Abs.1, S. 1) und das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung ist offensichtlich. Wo ist hier die „Transparenz“, die Landesbischof July angemahnt hatte? (Juli 2015 zur Eröffnung der Landessynode).

 

Auf die Rechtswidrigkeit eines solchen Umgangs mit personenbezogene Daten weist auch das Urteil des OVG NRW  1 B 1260/14 vom 07.01.2015 hin: „Andernfalls könnte der Dienstherr Einsichtsrechte ...dadurch aushebeln, dass er personenbezogene und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehende Daten außerhalb der üblichen Aktensammlungen vorhält. Dies widerspräche Sinn und Zweck des Rechtes auf Akteneinsicht...“

 

Mit der vom Kirchlichen Verwaltungsgericht abgesegneten Praxis verstößt die Evangelische Landeskirche in Württemberg gegen die vom Bundesverfassungsgericht öffentlich-rechtlichen

Körperschaften aufgegebene Rechtstreue und Bindung an das Grundgesetz:

„Eine Religionsgemeinschaft ...muss rechtstreu sein... Freilich darf auch außerhalb des Bereichs hoheitlichen Handelns von den korporierten Religionsgemeinschaften Rechtstreue verlangt werden.

Der Staat muss darauf bedacht sein, dass durch das Handeln öffentlich-rechtlicher Gebilde Rechte Dritter nicht verletzt werden... Ihnen liegen deshalb die besonderen Pflichten des Grundgesetzes zum Schutze Dritter näher als anderen Religionsgemeinschaften...“ (BVerGE 102, 370)

                                                                      

VI. Begründung und Urteil des Kirchlichen Verwaltungsgerichts, mit denen der Klägerin als „betroffener“ Person die Einsichtnahme in ihre eigenen personenbezogenen Daten des Protokolls vom 15. 05. 2006 verweigerten worden waren, stellen einen Verstoß gegen das DSG.EKD als einem verbindlichen Kirchengesetz der EKD dar, da das Gericht die Kirchengemeindeordnung in entscheidungserheblicher Weise über das DSG.EKD als höherrangiges („lex superior derogat legi inferiori“) und spezielles Kirchengesetz („lex specialis derogat legi generali“) gestellt hatte bzw. diese mit dem DSG.EKD in unzulässiger und verfälschender Weise vermischt hatte. Das Gericht hatte den verbindlichen Grundsatz der Normenhierarchie missachtet.

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte sich rechtsfehlerhaft unter Missachtung des DSG.EKD in seiner Begründung im Wesentlichen auf die datenschutzrechtlich untaugliche Kirchengemeinde-ordnung der Württembergischen Landeskirche aus dem Jahr 1924 gestützt und den Rechtsgrundsatz „lex posterior derogat legi priori“ missachtet. Mit der Formulierung „Übermittlung an Dritte“ knüpfte das Gericht an Bestimmungen der Kirchengemeindeordnung an. Im Sinne des DSG.EKD (§ 2, Nr. 10 und § 15) war die Klägerin keine „Dritte“, sondern eine „Betroffene“. Diesen Begriff kennt die Kirchengemeindeordnung jedoch nicht, infolgedessen war sie rechtlich nicht anwendbar.

 

Urteil und Leitsatz beruhten auf einem gravierenden Denkfehler: Das Gericht verwechselte den Vorgang der Einsicht einer Betroffenen in ihre eigenen personenbezogenen Daten mit einer „Übermittlung an Dritte“. Mit dem rechtswidrigen Rückgriff auf Verschwiegenheitsvorschriften der Kirchengemeindeordnung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg bezeichnete das Gericht die Klägerin als „Dritte“ und übertrug dann diesen Begriff (rückwärts) auf die Bestimmung DSG.EKD § 1, Abs. 3 Nr. 2, der das Gericht wiederum eine falsche Interpretation unterlegt hatte (vgl. Abschnitt III.2).

 

Im Grunde betraf das Urteil den in der Klage formulierten Auskunftsanspruch der Klägerin gar nicht, weil das Gericht über eine „Übermittlung an Dritte“ entschieden hatte, die Klägerin aber keine Dritte gewesen war: „...Dritte sind nicht die betroffene Person...“ (DSG.EKD § 2, Abs. 10). 

 

VI.2. Die auf der Homepage https:// www.kirchenrecht-ekwue.de aufgeführten Angaben des Kirchlichen Verwaltungsgerichts zu den Rechtsgrundlagen des Urteils VG 01/11 stellen eine schwerwiegende Täuschung dar. Außer dem Verweis auf § 9 Kirchliches Verwaltungsgerichtsgesetz sind nur Bestimmungen aus dem DSG.EKD aufgeführt (§1 / § 15/ § 24).

 

Die rechtsfehlerhaft angewandten zahlreichen Bestimmungen der Kirchengemeindeordnung, die für den Beschluss des Gerichts entscheidungserheblich gewesen waren, sind jedoch nicht angegeben. Das Gericht hatte sich u.a. auf folgende Bestimmungen der Kirchengemeindeordnung gestützt:  KGO § 21, Abs. 3, Satz 2 - § 31, Abs. 1 - § 31 Abs. 2 – Nr. 52 AVO KGO – Nr. 54 AVO KGO - § 55 AVO KGO - § 26 KGO i.V.m.§ 31, Abs.2.

 

Die vom Gericht auf der Homepage angegebenen verkürzten Rechtsgrundlagen suggerieren dem Leser, dass das Urteil korrekt auf den rechtlich dafür vorgesehenen Grundlagen des DSG.EKD zustande gekommen wäre. Aber genau das war nicht der Fall gewesen. Denn das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte nicht nur die angeführte Rechtsgrundlage § 1 Abs. 3 Nr. 2 falsch interpretiert, sondern auch andere wesentliche Bestimmungen einfach ignoriert, wie z.B.  DSG.EKD § 2, Abs. 10 „...Dritte sind nicht die betroffene Person... und DSG.EKD § 2, Abs. 4 Nr. 3 „Übermitteln (ist) das Bekanntgeben von gespeicherten oder durch Datenverarbeitung gewonnenen personenbezogenen Daten an Dritte ...“ 

 

Ein Gericht wird einer rechtlichen Angelegenheit nicht gerecht, wenn es sich losgelöst vom eigentlichen Sinn eines Gesetzes und unter Missachtung anderer einschlägiger Bestimmungen selektiv einen Paragraphen beziehungslos herausgreift und darauf seinen Beschluss stützt.

                                                          

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte sich fundamental geirrt, als es ausführte:

 

„Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin dürfte die Regelung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 DSG.EKD im Rahmen des von ihr geltend gemachten, von ihrem Arbeitsverhältnis unabhängigen Auskunftsanspruch (s.o.) nicht gegen das ihr aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs.1 des Grundgesetzes folgenden Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. ihr allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoßen.“

 

Die Klägerin hatte jedoch nicht die „Grundrechtstauglichkeit“ der Regelung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 DSG.EKD bestritten, sondern die vom Gericht dieser Bestimmung unterlegte Interpretation, die rechtsfehlerhaft angewandt worden war. Gegen staatliches Verfassungsrecht, das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin hatte daher nicht die in Frage stehende Regelung verstoßen, sondern das Kirchliche Verwaltungsgericht selbst.

 

Auffällig in der vorliegenden Angelegenheit war die mangelnde Bereitschaft des Kirchlichen Verwaltungsgerichts, die Frage von Bedeutung und Interpretation der Regelung in § 1 Abs. 3 Nr.2 DSG.EKD erörternd abzuklären:

 

a) Auf die Ausführungen auf S. 11 dieses Schreibens sei nochmals hingewiesen:

 

„...Als der Bevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung begründen wollte, dass es „abwegig“ sei, sich auf eine derartige Interpretation von § 1, Abs.3 Nr.2 DSG.EKD zu berufen, war er vom 1. Vorsitzenden rüde unterbrochen und gerügt worden...

 

Die Fortsetzung seiner beabsichtigten Erklärung war dem Bevollmächtigten unmöglich gemacht, der Klägerin das rechtliche Gehör genommen worden...

 

Es war ganz offensichtlich, dass das Gericht von Anfang an die Stützung des Urteils auf das „neue Vorbringen“ der Beklagten nicht durch rechtliche Argumente seitens der Klägerin gefährdet sehen wollte...“

 

b) Der Schriftsatz der Beklagten, der mit einem neuen Vorbringen die Regelung § 1 Abs. 3 Nr. 2 DSG.EKD eingebracht und zugleich die (falsche) Interpretation damit verbunden hatte, die sich das Gericht zu eigen gemacht hatte, wurde vom Kirchlichen Verwaltungsgericht so spät an die Klägerin weitergeleitet, dass die Klägerin darauf nicht mehr reagieren konnte (vgl. ZPO § 132)

 

c) Der Antrag der Klägerin, den in der Verhandlung anwesenden Datenschutzbeauftragten der Landeskirche zu hören, wurde vom 1. Vorsitzenden barsch und ohne Begründung abgelehnt.

 

d) Das Gericht hatte es hinsichtlich § 1 Abs.3 Nr. 2 DSG.EKD unterlassen, den maßgeblichen Kommentar zum DSG.EKD „Herbert Claessen, Datenschutzrecht in der Evangelischen Kirche “ bzw. überhaupt einen Kommentar in dieser Frage zu konsultieren.

 

e) Im Urteil VG 05/ 09, in dem es u.a. auch um das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung gegangen war, hatte sich das Gericht jedoch auf Ausführungen des Kommentars von Claessen berufen. Es ist sehr auffällig und unerklärlich, dass das Kirchliche Verwaltungsgericht im Verfahren 01/ 11 Fall den Kommentar von Herbert Claessen nicht benutzt hatte, obwohl dies dringend geboten gewesen wäre.

 

VII.   Wegen Übermittlung ihrer personenbezogenen Daten aus dem Protokoll an Dritte hatte die Klägerin im Verfahren VG 01/14 einen Antrag auf Auskunft / Einsicht bezüglich ihrer personenbezogenen Daten im Protokoll der Personalsitzung vom 15.05. 2006 gestellt. Dritte waren der Diakon der beklagten Kirchengemeinde, also ein Arbeitskollege der Klägerin, und der Kirchenmusikpfarrer des Stadtdekanats. Beide hatten an der dienstrechtlichen / disziplinarischen Personalsitzung beratend teilgenommen.

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte es abgelehnt, diesen Klageantrag zu behandeln, weil dieser angeblich schon im Verfahren VG 01 / 11 behandelt worden sei. Dies konnte jedoch nicht der Fall gewesen sein, wie aus den eigenen Ausführungen des Gerichts ersichtlich ist:

 

 „Mit Urteil vom 7.12. 2012 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Hinsichtlich der Teilanträge 1d) und 1e) sei die Klage ...unzulässig, weil die Klägerin schon nicht das notwendige vorgängige Verwaltungsverfahren durchlaufen habe.“    

                                                                                                                     

Die Teilanträge 1 d) und 1 e) hatten sich auf die Übermittlung der Daten an Dritte, d.h. den Diakon und den Kirchenmusikpfarrer bezogen. Das Gericht hatte sich offensichtlich selbst widersprochen.

 

Im Urteil VG 01/ 11 hatte das Kirchliche Verwaltungsgericht, anknüpfend an die Bestimmung des DSG.EKD § 1 Abs. 3 Nr. 2 ausgeführt.

 

„...Werden die einer Einschränkung des Anwendungsbereichs des DSG.EKD unterliegenden Daten im Einzelfall doch an „Dritte“ übermittelt, so finden die Vorschriften des DSG.EKD wieder uneingeschränkte Anwendung.“d.h. entsprechend § 15 DSG.EKD bestünde dann wieder ein uneingeschränktes Auskunftsrecht.

 

Auf Grund dieser rechtlichen Feststellung des Gerichts hatte die Klägerin nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens den zuvor als unzulässig abgelehnten Antrag erneut gestellt.

 

In den 4 Leitsätzen des Urteils VG 01/11 findet sich kein einziger Hinweis auf die vom Gericht behauptete angebliche Behandlung dieses Klageantrags im Verfahren VG 01/ 11. In Aufbau und Gliederung des schriftlichen Urteils ist nirgendwo erkennbar, dass ein Klageantrag bezüglich „Übermittlung an Dritte“ behandelt worden wäre. Eine diesbezügliche Behandlung des Klageantrags bzw. Erörterung war weder der Klägerin noch deren Bevollmächtigten erinnerlich. 

 

Mit der Weigerung des Gerichts, diesen Antrag zu behandeln, war der Klägerin der effektive Rechtsschutz verweigert worden.

 

Richtig ist zwar, dass das Kirchliche Verwaltungsgericht Im Urteil 01 / 11 auf S.12 f. ausgeführt hatte, „...dass und warum die genannten Personen ebenso wenig wie die Pfarramtssekretärin „Dritte“ im datenschutzrechtlichen Sinne sei und das Bekanntwerden dieser Daten gegenüber diesen Personen kein datenschutzrechtliches „Übermitteln“ sei...“

 

Doch diese Erwähnung war als Ergebnis einer Erörterung bzw. Behandlung eines Klageantrags nirgendwo erkennbar und das Gericht hatte diese rechtliche Feststellung auch erst nach (!) der mündlichen Verhandlung im schriftlichen Urteil selbst getroffen, ohne dass die Klägerin dies hätte ahnen oder sich dazu hätte äußern können. Insofern hatte das Gericht gegen den grundrechts-gleichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs und den Grundsatz eines fairen Verfahrens verstoßen.

 

Da das Gericht im Verfahren VG 01/ 11 den Antrag auf Auskunft wegen Übermittlung an Dritte (DSG.EKD § 1, Abs. 3 Nr. 2) als „unzulässig“ abgelehnt hatte, konnte das Klagebegehren der Klägerin nur noch als Antrag auf Auskunft entsprechend DSG.EKD § 15 gestellt betrachtet werden.

 

Das Gericht hätte daher mit seiner Behauptung, der Antrag auf Auskunft wegen Übermittlung an Dritte sei im VG 01/ 11 bereits behandelt worden, gegen § 43 KvwGG verstoßen: „Das Verwaltungsgericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen...“

Im Übrigen wären die im schriftlichen Urteil nachträglich vom Gericht getroffenen rechtlichen Feststellungen, die auch in der mündlichen Verhandlung keinerlei Erörterung unterzogen worden waren, aus verschiedenen Gründen rechtlich nicht haltbar gewesen:

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte sich rechtsfehlerhaft u.a. auf die Kirchengemeindeordnung als datenschutzrechtliche Grundlage gestützt. Auf die grundsätzlich datenschutzrechtliche Untauglichkeit und Unzuständigkeit der Kirchengemeindeordnung war bereits in Abschnitt IV hingewiesen worden.

                                              

Das Datenschutzrecht ist eine Ausprägung des  Persönlichkeitsrechts. Dieses ist rechtlich in der Formulierung „...innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ (GG § 140 i.V. mit WRV § 137, Abs. 3) enthalten und über diese Formulierung auch in § 2 des Kirchenverfassungsgesetzes der Württembergischen Landeskirche wirksam geworden.

 

Das datenschutzrechtliche Persönlichkeitsrecht sowie seine Auswirkungen und Implikationen sind jedoch nicht Teil der Kirchengemeindeordnung. Mit der entscheidungserheblichen Anwendung der Kirchengemeindeordnung hatte das Kirchliche Verwaltungsgericht daher gegen § 2 Kirchenverfassungsgesetz verstoßen.

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht verwendete zwar den Begriff des DSG.EKD „verantwortliche Stelle“. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die Bestimmungen des DSG.EKD gar nicht angewendet, sondern sogar umgangen hatte. Es hatte diesen Terminus in der Folge unzulässiger Weise und inhaltlich verfälschend mit Begriffen der Kirchengemeindeordnung aufgefüllt, ohne die konkret und speziell gefasste Begrifflichkeit des DSG.EKD anzuwenden. Rechtlich gesehen hatte keinerlei Notwendigkeit bestanden, auf die Kirchengemeindeordnung auszuweichen.

 

Das Gericht unterstellte fälschlich „Verantwortliche Stelle“ sei die Kirchengemeinde als Ganzes bzw. alle Mitarbeiter. DSG.EKD § 2, Abs. 8 führt jedoch aus „Verantwortliche Stelle ist jede Person oder Stelle, die personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet oder durch andere im Auftrag speichern lässt.“

 

Dies traf im konkreten Fall lediglich auf den Kirchengemeinderat sowie auf den Bezirkskantor zu, der nach der Ordnung des kirchenmusikalischen Dienstes in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg § 7 Abs. 2 Nr. 5  eine beratende Zuständigkeit „in personellen Angelegenheiten“ hat.

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte über den Begriff des „Beraters“ (KGO § 26,1) auch den Diakon und den Kirchenmusikpfarrer, die an der Personalsitzung teilgenommen hatten, der Stelle zugerechnet, die „personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet...“ Der Begriff des „Beraters“ ist jedoch so offen und inhaltlich unbestimmt, dass er datenschutzrechtlich gegen das Bestimmtheitsgebot verstößt.

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hätte zunächst prüfen müssen, ob es spezielle Regelungen für „Diakon“ und „Kirchenmusikpfarrer“ gibt. Dies hat es rechtsfehlerhaft unterlassen und stattdessen diese Personen unter den Begriff „Berater“ (KGO § 26) gefasst.  

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht wäre verpflichtet gewesen zu prüfen, ob Diakon und Kirchenmusikpfarrer überhaupt unter dem Begriff „Berater“ geführt werden können. Im Kontext der Kirchengemeindeordnung ist der Begriff „Berater“ gewissen Voraussetzungen unterworfen. Der Evangelische Oberkirchenrat hatte am 14. März 1986 dem Kirchengemeinderat der Beklagten bezüglich § 26,1 mitgeteilt:

 

„... gemäß § 26, 1 KGO kann der Kirchengemeinderat Berater zu seinen Sitzungen hinzuziehen...

Aus dem Begriff des Beraters muss aber unseres Erachtens geschlossen werden, dass dies nur für solche Tagesordnungspunkte gelten kann, für die die betreffende Person besondere Kenntnisse und Erfahrungen besitzt...“

 

Diese Voraussetzung war nach der Kirchengemeindeordnung weder bei Diakon noch Kirchenmusikpfarrer gegeben. Denn „im Rahmen dieser Sitzung ging es allein und ausschließlich um eine dienstrechtliche / disziplinarische Angelegenheit betreffend die Klägerin“, wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 22. August 2012 gegenüber dem Gericht erklärt hatte.

                                                          

Der Kirchengemeinderat hatte nicht entschieden, wie in Zi 46 zu § 26, Abs.1 KGO vorgeschrieben, ob und inwieweit sie (i.e. die Berater) „bei Beratung und Beschlussfassung anwesend sein sollen“.

 

Zi 46 zu § 26 KGO führt ferner aus: „...Er (d.h. der Kirchengemeinderat, Zusatz durch Verfasser) kann auch beschließen. dass bestimmte Personen regelmäßig als Beraterinnen oder Berater zu den Sitzungen eingeladen werden. Dies gilt nicht für hauptberufliche Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Kirchengemeinde.“ 

 

Der Diakon war aber hauptberuflich in der Kirchengemeinde angestellt und konnte deshalb nicht „Berater“ sein. Weder im Diakonengesetz noch in den einschlägigen Bestimmungen für den Kirchenmusikpfarrer ist eine Zuständigkeit im Blick auf dienstrechtliche / disziplinarische Fragen / Kündigungen etc. aufgeführt.

 

Eine personelle Zuständigkeit ist für den Kirchenmusikpfarrer lediglich „bei der Besetzung der hauptamtlichen Kirchenmusikerstellen im Kirchenbezirk“ rechtlich vorgesehen (§ 17 Ordnung des kirchenmusikalischen Dienstes“): „Bei der Besetzung der hauptamtlichen Kirchenmusikerstellen im Kirchenbezirk ...ist der Pfarrer für Kirchenmusik zu hören.“

 

Eigentlich müsste ein Gericht in der Lage sein, den rechtlichen Unterschied zwischen einer Kündigung bzw. dienstrechtlichen / disziplinarischen Personalsitzung und der (neuen) Besetzung einer hauptamtlichen Kirchenmusikerstelle“ zu erkennen. Das Gericht hatte das richterliche Ermessen für seine eigene Überzeugungsbildung missbraucht. 

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte gegen die Garantie des effektiven Rechtsschutzes der Klägerin verstoßen, da es ohne rechtliche Prüfung unreflektiert Diakon und Kirchenmusikpfarrer unter den Begriff des „Beraters“ subsumiert, spezielle kirchliche Bestimmungen (lex specialis) übergangen und die einschlägigen Bestimmungen des DSG.EKD willkürlich missachtet hatte:   

 

...Verantwortliche Stelle ist jede Person oder Stelle, die personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet oder nutzt...“ Dies traf weder auf den Diakon noch den Kirchenmusikpfarrer zu. Damit waren sie automatisch Dritte: „Dritte sind Personen und Stellen außerhalb der verantwortlichen Stelle.“

 

Auf der Grundlage der vorgeblichen Entscheidung des Kirchlichen Verwaltungsgerichts hätte man zu dieser dienstrechtlich / disziplinarischen Angelegenheit ebenso andere Mitarbeiter der Gemeinde und Kollegen der Klägerin, wie Erzieher/in oder Mesner/in, über den Begriff des „Beraters“ zu der Sitzung hinzuziehen können. Die Absurdität ist für jedermann erkennbar.

 

Mit seiner Entscheidung hatte das Kirchliche Verwaltungsgericht als rechtens erklärt, dass der Diakon als  Arbeitskollege (!), am DSG.EKD vorbei, über den „Beraterbegriff“ der Kirchengemeindeordnung zu einer dienstrechtlich / disziplinarischen Personalsitzung eine Kollegin (d.h. die Klägerin) betreffend beratend (!)  hinzugezogen worden war, diesem dadurch personenbezogene Daten über deren disziplinarische / dienstrechtliche Angelegenheit und vorgeworfenes angebliches Fehlverhalten sowie Einblicke in deren Arbeitsverhältnis übermittelt worden waren, die der Klägerin selbst verweigert worden waren, weil sie nach Ansicht des Kirchlichen Verwaltungsgerichts bezüglich ihrer eigenen personenbezogenen Daten lediglich „Dritte“ und nicht „Betroffene“ sei.

 

Nichts anders wäre es gewesen, wenn die beklagte Kirchengemeinde dem Arbeitskollegen „Diakon“ und dem Kirchenmusikpfarrer Einblick in die Personalakten der Klägerin gewährt hätten!

 

                                                                      

Der Diakon als Kollege wusste mehr über die betroffene Klägerin als diese über sich selbst!

Durch diese gewissermaßen „blinde“ Anwendung von Bestimmungen der Kirchengemeindeordnung an den einschlägigen Bestimmungen des DSG.EKD vorbei war das Persönlichkeitsrecht der Klägerin in erheblicher Weise verletzt worden.

                                                                                                     

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte aus einer „Betroffenen“ (d.h. der Klägerin) eine „Dritte“ gemacht und aus einem „Dritten“(dem Diakon) „eine Person, die personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet oder durch andere im Auftrag speichern lässt („verantwortliche Stelle“).

 

In Analogie zu diesem Beschluss des Kirchlichen Verwaltungsgerichts müsste es auch rechtens sein, dass bei einer dienstrechtlich / disziplinarrechtlichen Sitzung einen Pfarrer betreffend ein Pfarrer aus derselben Gemeinde, d.h. ein Kollege, beratend hinzugezogen wird. Der von der Personalsitzung betroffene Pfarrer dürfte bezüglich seiner personenbezogenen Daten aus dieser Sitzung keine Auskunft erhalten, weil er ja nur „Dritter“ wäre. Der an der Personalsitzung teilnehmende Pfarrer dürfte aber mehr über seinen Kollegen wissen, als dieser selbst! 

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte mit seiner Entscheidung auch den Gleichheitsgrundsatz (GG § 3) verletzt. Das privatrechtliche Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Kirchengemeinde wäre in der vorliegenden Angelegenheit unter dem grundrechtlichen Aspekt des Datenschutzrechts und Persönlichkeitsrechts rechtlich nicht anders zu behandeln gewesen als jedes andere nichtkirchliche Arbeitsverhältnis.

 

Bei der Frage der Übermittlung personenbezogener Daten an Dritte hatte das Gericht die Angelegenheit der Klägerin durch das Ausweichen auf die Kirchengemeindeordnung einer Ordnung unterworfen, die nicht dem rechtlichen Anspruch aus GG § 140, Abs. 1 i.V. mit WRV § 137, Abs. 3 gerecht wird: „...innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“.

 

Die Klägerin war damit ohne sachlichen Grund schlechter gestellt worden als Arbeitnehmer in nichtkirchlichen privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen.

 

VIII. Verstöße seitens des Kirchlichen Verwaltungsgerichts gegen das grundrechtsgleiche Recht des rechtlichen Gehörs der Klägerin waren nicht nur in dem oben dargestellten Sachverhalt, sondern auch in der Behandlung des Klageantrags II („Personalaktenaktenweitergabe“) im Verfahren VG 01/14 erfolgt. Der Klageantrag war vom Gericht abgelehnt worden.

 

1) Auf S. 13 Urteil VG 01 / 14 hatte das Gericht zu Klageantrag II ausgeführt: „...dürfte auch hier nicht der Gesichtspunkt eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffes die Anerkennung eines Feststellungsinteresses an der Rechtswidrigkeit der Maßnahme gebieten“, weil die Klägerin - so das Gericht – dies erst in der Klageerhebung am 26.04.2014 beanstandet, aber bereits am 9.3. 2012 festgestellt hätte, dass „die Personalakten von der Ev. Gesamtkirchengemeinde an die Christuskirchengemeinde übermittelt worden waren“.

 

Die Darstellung des Gerichts war falsch. Die Klägerin hatte unmittelbar nach der Feststellung vom 9.03. 2012 bereits elf Tage später (!), am 20. März 2012, in einem Schriftsatz an das Gericht eine diesbezügliche Klage eingereicht: „Klage wegen Datenschutzverstößen“ …Punkt 4, Personalakte Anstellungsträger ...“

Das Gericht hatte seine falsche Behauptung erst im schriftlichen Urteil erhoben, so dass die Klägerin darauf nicht mehr reagieren konnte.

 

2. Im Urteil VG 01/ 14 hatte das Gericht zu Klageantrag II ausgeführt, dass der Aspekt „Bemäkelung“ Gegenstand in der mündlichen Verhandlung gewesen sei und die Klägerin nichts „Substantielles“ dazu vorgetragen habe:  “... für deren Vorliegen die Klägerin hier - trotz konkreter Nachfrage des Gerichts in der Verhandlung -  nichts Substantielles vorgetragen hat“.

                                                                      

Die Darstellung des Gerichts war falsch. Die Frage der „Bemäkelung“ war – entgegen der Behauptung des Gerichts – in der mündlichen Verhandlung weder behandelt noch erwähnt worden. Die vom Gericht erwähnte „konkrete Nachfrage“ an die Klägerin war im Zusammenhang mit Klage-antrag III erfolgt, dem ein gänzlich anderer Sachverhalt (E-Mail Kirchenmusikpfarrer) zu Grunde gelegen hatte.

Das Gericht hatte seine falsche Behauptung erst im schriftlichen Urteil erhoben, so dass die Klägerin darauf nicht mehr korrigierend reagieren konnte.

 

3) Bezüglich Klageantrag II hatte das Gericht im Beschluss VG 01/ 14 ausgeführt: „...nach dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag und dem diesbezüglichen Vorbringen.“

 

Die Darstellung des Gerichts war falsch. Klageantrag und Vorbringen waren in der Klageschrift vom 26.04. 2014 auf 13 (!) Seiten erfolgt, S. 22 – 34, und nicht erst – wie vom Gericht behauptet - 4 Jahre später am 18.05. 2018. In der mündlichen Verhandlung war auch kein neuer Klageantrag gestellt worden.

 

Entgegen der Behauptung des Gerichts war von Seiten der Klägerin bezüglich der Frage der Anforderung und missbräuchlichen Verwendung ihrer Personalakten in der mündlichen Verhandlung nichts vorgebracht worden. Vom Gericht war sie dazu auch nicht aufgefordert worden.

 

Die Klägerin musste sich darauf verlassen können, dass das Gericht bzw. der Berichterstatter im Vorfeld (!) der internen Beratung des Gerichts sowie der mündlichen Verhandlung die umfangreichen und rechtlich substantiierten Ausführungen, ergänzt durch spätere Schriftsätze, zur Kenntnis genommen und sich damit auseinandergesetzt hätten. Dass dies nicht der Fall gewesen sein konnte, ließ sich aus den Äußerungen des Gerichts und schließlich auch aus der Urteilsbegründung selbst erschließen.

 

Wenn das Gericht nach eigener Aussage keine Kenntnis der 13 Seiten aus der Klageschrift vom 26.04.2014 (incl. zahlreicher Beweisdokumente) hatte und die Klägerin - entgegen der falschen Behauptung des Gerichts – in der mündlichen Verhandlung vom 18.05. 2018 keine Ausführungen zu diesem Klageantrag gemacht hatte, stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage das Kirchliche Verwaltungsgericht diesen Klageantrag entschieden hatte. Auf der Grundlage der Schriftsätze der Beklagten?

 

„Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet auch, dass das entscheidende Gericht durch die mit dem Verfahren befassten Richter die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis und in Erwägung ziehen muss...“. (BverwG AZ 1 BvR 1225/15 29. Juli 2016)

 

„Das Gericht darf ... nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweis-ergebnisse nicht zur Kenntnis nimmt oder in Erwägung zieht. Danach liegt ein Verstoß gegen dieses Gebot vor, wenn ein Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, in solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts“. (BverwG 7 C 30.15).

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht war diesem vom Bundesverwaltungsgericht geforderten Anspruch an ein rechtsstaatliches Verfahren nicht gerecht geworden.

 

Hinsichtlich des Klageantrags II („Personalaktenweitergabe“) hatte das Kirchliche Verwaltungsgericht wesentliche Beweisdokumente außer Acht gelassen und sich über rechtsgültige Verträge hinweggesetzt. Es hatte nicht nur gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen, sondern auch gegen die Allgemeine Handlungsfreiheit der Klägerin (§ 2 GG) in der Konkretion der Aufhebungsfreiheit, den Grundsatz von „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB) und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin.  

 

Das Kirchliche Verwaltungsgericht hatte sein Ermessen überschritten, indem es den datenschutzrechtlichen Grundsatz missachtet hatte, dass juristisch selbständige Körperschaften im gegenseitigen Verhältnis als „Dritte“ zu behandeln sind, auch wenn zwischen ihnen Formen der Zusammenarbeit bestehen sollten, und § 24 DSG.EKD unter fehlerhafter Subsumtion rechtswidrig für das aus dem öffentlichen Recht entlehnte Institut der Amtshilfe in Anspruch genommen hatte. Die Übertragung auf ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis war rechtswidrig.

                                                                      

Abschließend ist insgesamt festzustellen, dass der Klägerin ihre Menschenwürde genommen, sie in ihrem Persönlichkeitsrecht gravierend beschädigt und in ihrem grundrechtsgleichen Anspruch auf rechtliches Gehör nachhaltig verletzt worden ist.

 

 

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© Dr. Friedrich Reitzig, Pfr. i.R.