Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.
Dr. Friedrich Reitzig, Pfr.i.R.
Bundesarchiv_183-1989-1023-022,_Leipzig,_Montagsdemonstration
B-archiv 183-1990-0108-033

„Wir sind ein Volk …“

Vor 25 Jahren hallte dieser Satz durch die Straßen von Leipzig und anderen Orten. Gespannt verfolgte man in Ost und West, wie sich die Situation entwickeln würde. Alles war vorbereitet, um den Protest niederzuschlagen, doch nichts geschah. Kein Schuss fiel, kein Blut wurde vergossen. Nach 40 Jahren war das Ende der DDR eingeläutet. Warum und wieso, darüber zerbrechen sich bis heute die Experten den Kopf und reiben sich immer noch verwundert die Augen. Ein Zufall? Ein Wunder? Der normale Gang der Ereignisse? Das Urteil mag jeder für sich selber sprechen. Für mich hatte Gott die Hand im Spiel.

„Wir sind ein/das Volk“. Dieser Satz hat Weltgeschichte geschrieben. Ein Satz, der nicht einfach nur in die Welt gesetzt wurde, sondern mit Gebetstreffen in der Nicolaikirche und anderen Orten verbunden war sowie mit Aufrufen zu Ruhe und Gewaltlosigkeit. „Sich bloß nicht auf Konfrontationen einlassen“, war oberste Devise, -und die Teilnehmer der Demonstrationen hielten sich daran! Am Ende durften Unbewaffnete Bewaffnete mit Worten besiegen.

Heute gleicht die Welt in ganz ähnlicher Weise erneut einem Pulverfass. Russland marschierte auf der Krim ein, schürt die Krise in der Ostukraine. In Libyen regiert der Terror, in Syrien, Israel, Gaza, im Irak, Afghanistan. In Afrika werden christliche Mädchen verschleppt, und keiner scheint sich wirklich darum zu kümmern. Die Nachrichtenlage ist teilweise so erdrückend, dass es schwerfällt, den schlimmsten Krisenherd zu benennen. Man könnte es in die Worte von Otto Riethmüller fassen: „Welten stehn um dich im Krieg“ (EG 594,3). Er schrieb sie 1932 nieder, als die Nazis noch nicht an der Macht waren. Doch sieben Jahre später hatte ein neuer Weltenbrand begonnen.

„Wir sind ein/das Volk“! Ein Satz, der nicht nur für die Bewohner eines Staatsgebietes gilt, sondern grenzübergreifend. Jeder ist Teil eines Volkes. Wir alle sind Menschen – und Christen, und als solche Schwestern und Brüder, aufgerufen im Namen Jesu zusammenzustehen und einander vor Schaden und Gefahr zu bewahren. Auf friedlichem Weg sollen wir das versuchen über Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg. Denn wer wir auch sind, wir sind Gottes Geschöpfe. Deshalb haben wir aufzustehen gegen jede Form von Unrecht und Machthunger der Politiker und Wirtschaftsbosse, etc. Wir haben die Stimme zu erheben und für die aus religiösen Gründen Verfolgten einzutreten, sie seien Christen, Juden, Moslems, Hindus, Buddhisten oder Glaubenslose. Damit sollen unsere Überzeugungen nicht eingeebnet und nivelliert werden. Im Gegenteil, wir sollen, dürfen, ja müssen für unsere Meinungen und politischen wie religiösen Überzeugungen eintreten, -aber nicht mit Gewalt und Waffen, sondern mit dem Wort. Welch eine Macht in ihm steckt, lässt sich an Jesus und seinem Leben und Handeln ablesen, aber auch an den Ereignissen von 1989 oder an der Bewegung von Mahatma Gandhi, der sich davon inspirieren ließ. Damit aber das Wort wirken kann, bleiben wir gerufen unsere Stimme zu erheben.

Den Mut und die Kraft sowie zur rechten Zeit das rechte Wort wünsche ich uns allen immer wieder neu.

Ihr Pfr. Friedrich Reitzig, Kurseelsorger

Friedenskuss - Schloss Friedensstein - Gotha
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