Liebe Leserinnen und Leser,
bald ist es wieder soweit. Der 09. November steht vor der Tür, dann der Volkstrauertag. Besinnliche Tage sind es, die zur Einkehr einladen und zur Beschäftigung mit unserer Geschichte, denn sie erinnern an keine Ruhmestaten unserer Vergangenheit, sondern an Tiefpunkte, ja an Barbarei und Unmenschlichkeit im Namen des Volkes. Doch lang, lang ist’s her, so scheint es. Vielleicht zu lange, denn mit dem Abstand zur Nazidiktatur und den Ruinen von 1945 hat das große Vergessen eingesetzt, nachdem 1989/90 über die Wende vieles sich endgültig zum Guten zu wenden schien. Die dunklen 1930iger und 1940iger Jahre erschienen vielen sehr lange ein Ausrutscher in der Geschichte unseres Volkes zu sein.
Doch nun, wenige Wochen nach der von vielen bewunderten deutschen Willkommenskultur, schlägt das Pendel offenbar in eine ganz andere Richtung. Die Flüchtlinge werden zunehmend als Belastung empfunden. Man spürt, ein Kraftakt ist notwendig, die Herausforderung enorm. Und schon kriechen sie wieder aus ihren Löchern, die Volksverhetzer und Rattenfänger, und machen Stimmung, so als habe es den 09. November 1938 und den 08. Mai 1945 nicht gegeben, und schüren mit altbekannten Parolen. Man kennt die Fremden nicht, aber man ist dagegen. Die Not, die sie aus der Heimat vertrieben hat, ignoriert man. Sie sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst, denn schließlich macht nur Selbstessen satt. Ist das die deutsche Leitkultur oder ein adäquates Bild für das oft beschworene christliche Abendland?
Auf einem Transparent der Pegida-Demonstranten war zu lesen „An die Herrschende“ - gemeint ist Bundeskanzlerin Angela Merkel – „Den Krieg gegen das eigene Volk werdet ihr verlieren.“ Ich frage, wo ist Krieg gegen das eigene Volk? Und wenn Krieg, wer führt ihn? Ich muss gestehen: Zu dem Volk, das Pegida repräsentieren will, will ich nicht gehören. Für dieses Volk schäme ich mich eher. Denn dass es uns heute materiell so gut geht, ist nicht allein unser aller Verdienst. Gewiss, nach dem Krieg mussten alle die Ärmel hochkrempeln und anpacken. Und sie haben viel geschuftet und Großes geleistet. Aber zu dem kam auch, dass die Sieger, die Amerikaner allen voran, damals enorme Aufbauhilfe geleistet haben. Ich erinnere nur an den Marschallplan. Wäre der Morgentauplan Realität geworden, sähe es bei uns anders aus. Man hat uns also eine Chance gegeben trotz aller Gräuel der Naziherrschaft. Was wir haben, ist deshalb auch ein Geschenk. Gott hat uns durch Menschen/ Politiker, glückliche Umstände und anderes mehr zum Wollen auch das Gelingen gegeben. Das sollten wir nicht vergessen. Und deshalb ist es angesagt, eine offene Tür für die zu haben, die an ihr klopfen, offene Hände für die, die unsere Hilfe brauchen, und zupackende Hände, mit denen wir etwas von dem weitergeben, was wir selbst empfangen haben.
Manches Mal müsste man gar nicht so viel aufbringen, wenn man nur mit mehr Sachverstand ans Werk ginge. Denn wie viel Geld wird sinnlos ausgegeben wegen Polizeieinsätzen bei Demonstrationen, Geld, das man anderweitig viel besser verwenden könnte! Wie viel wird zB. mutwillig zerstört an Steuergeldern durch Brandanschläge? Wer schadet hier wem?
Denkt deshalb an die Gefangenen, Flüchtlinge, Verfolgten, Bedrohten und helft! In der Bibel heißt es: Selbst einen Schluck Wasser, den wir einem von diesen seinen geringsten Schwestern und Brüder geben, wird Gott nicht unvergolten lassen.
Mögen die Tage im November uns deshalb ermutigen und befähigen Liebe zu üben und weiterzugeben.
Friedrich Reitzig, Pfr. und Kurseelsorger
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